In den rund 25’500 km langen Waldrändern des Schweizer Mittellandes liegt grosses Potenzial für die ökologische Aufwertung. Im Kulturland findet man oft eine scharfe Grenze zwischen Wald und Offenland mit einer geringen Artenvielfalt. Vereinzelt werden diese Waldränder heute maschinell ausgelichtet, um strukturreiche Lebensräume zu schaffen und die Landschaft aufzuwerten. Agroscope plant deshalb das Projekt «Extensive Waldrandweide», in dem untersucht wird, ob eine extensive Beweidung die maschinellen Eingriffe reduzieren kann, um Ränder zu öffnen und das erneute Zuwachsen zu verhindern. Diese nachhaltige Landnutzung vereint traditionelle Waldnutzung mit modernen Umweltschutzansätzen, um die Biodiversität zu fördern und Biotope besser zu vernetzen.
Abnahme der Biodiversität
Trotz vielfältiger Bemühungen steigt die Zahl gefährdeter Tier- und Pflanzenarten in der Schweiz weiter an. Laut Bundesamt für Umwelt sind 35% aller Arten gefährdet oder bereits ausgestorben, während weitere 12% potenziell gefährdet sind. Das Bundesamt für Umwelt hat festgestellt, dass auch die Biodiversität im Wald stark abgenommen hat. Es fehlen vielfältige Strukturen wie gestufte Waldränder, lichte Wälder, feuchte Waldstellen sowie Alt- und Totholz. Für das Mittelland werden bis 2030 Massnahmen zur Förderung gestufter Waldränder verlangt.
Potential des gestuften Waldrands
Ein aufgewerteter und strukturreicher Waldrand dient als ökologisch wertvolle Übergangszone, in der eine Durchmischung zwischen Wald und Offenland stattfindet. Dadurch entstehen Standorte mit einzigartigem Mikroklima, beeinflusst von verschiedenen Faktoren wie Sonneneinstrahlung, Temperatur, Wasser- und Nährstoffverfügbarkeit und Wind.
Strukturreichtum durch Beweidung
Die Beweidung trägt dazu bei, die Heterogenität zu fördern und ein strukturreiches Habitat für eine Vielzahl von Lebewesen zu schaffen. Der selektive Frass drängt schmackhafte Arten zurück und ermöglicht das Aufkommen von dornigen Arten, was für Rückzugsmöglichkeiten für Kleintiere und Insekten sorgt und ein breiteres Nahrungsangebot bietet. Durch die Beweidung entsteht eine erhöhte Lichteinstrahlung, die wärmeliebende Arten begünstigt, während der Dung der Tiere die Verbreitung von Dungfauna fördert. Gleichzeitig werden durch die Tiere Samen verbreitet.
Bis Ende 19. Jahrhundert prägten weidende Tiere die Landschaft im Schweizer Mittelland. Die Tiere wurden ganzjährlich auf den Weiden, Brachen, Streuwiesen und im Wald gehalten, wo sie sich von Gräsern und Kräutern, aber auch vom Laub der Bäume ernährten. Es entstand ein lichter Niederwald mit reicher Biodiversität und Lebensraumvielfalt. Geschlossene Hochwälder, wie wir sie heute kennen, gab es in Siedlungsnähe kaum.
Die scharfe Trennung von Wald und Landwirtschaftsland wurde erst 1876 mit dem Eidgenössischen Forstpolizeigesetz eingeführt. Durch die stetig wachsende Bevölkerung und den damit verbundenen Land- und Holzhunger hatte die Waldfläche massiv abgenommen, so dass die Obrigkeit per Gesetz den Wald schützen musste. Fortan war die Waldweide für alle Nutztiere verboten (Forstpolizeigesetz 1902). (125 Jahre Waldgesetz: eine nachhaltige Erfolgsgeschichte (admin.ch))
Durch die intensive Bewirtschaftung der Landschaften bekam der Wald scharfe Ränder. Die lichten, lockeren und strukturreichen Waldränder mit vorgelagertem Krautsaum sind im Mittelland beinahe gänzlich verschwunden.
Die Landwirtschaft trägt eine grosse Verantwortung für die Biodiversität in der Schweiz. Zum Schutz der Artenvielfalt werden die Landwirte für die Anlage und Bewirtschaftung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Direktzahlungen entschädigt. Viele der für das Mittelland vorgesehenen BFF zeigen aber eine ungenügende Qualität oder wurden aus ökonomischen Gründen an Standorten angelegt, die für die Biodiversität ungünstig sind (Riedel et al. 2019). Diese BFF grenzen oft an scharfe Waldränder, die Schatten darauf werfen und obwohl der Einsatz von Pestiziden und Düngern hier verboten ist, entwickeln sich auch nach extensiver Bewirtschaftung keine artenreichen Pflanzenbestände.
Wenn aus betriebswirtschaftlichen Gründen der gewählte Standort für eine BFF im Schatten eines Waldrandes liegt und sich dort aus ökologischen Gründen keine artenreiche Wiese etabliert, könnte ein ausgelichteter Waldrand in Kombination mit sanfter Beweidung einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Biodiversität in beiden Zonen, dem Wiesland wie auch dem Waldrand leisten.
Die extensive Beweidung solcher Übergangsbereiche schafft neue, strukturreiche Lebensräume für die Artenvielfalt.
Ein ökologisch wertvoller Waldrand besteht aus verschiedenen Elementen wie dem Nichtwirtschaftswald und einem ausgedehnten Strauchgürtel. Als Übergang ins Kulturland ist ein vorgelagerter Krautsaum wünschenswert, der als extensiv genutzter Streifen vielen Gräsern und krautigen Pflanzen als Lebensraum dient. Der Waldrand sollte buchtenreich sein und einen stufigen Aufbau haben. Ein ökologisch wertvoller Waldrand vernetzt ausserdem den Wald mit anderen Landschaftselementen, wie beispielsweise Magerwiesen. Weitere Informationen auf «Waldränder in der Schweiz (zhaw.ch)».
Um einen Waldrand aufzuwerten, braucht es meist periodische Eingriffe wie beispielsweise Holzschläge, Entbuschungen oder Einbringung von ökologisch wertvollen Gehölzarten. Diese Instandhaltung ist jedoch sehr kostspielig und aufwändig und muss alle 3-5 Jahre wiederholt werden. Eine erneute Verbuschung könnte durch extensive Beweidung reduziert oder verzögert werden.
Waldrand aufwerten
Vier Aspekte werden im Projekt «Waldrandweide» untersucht:
Biodiversität
Welchen Einfluss hat die Beweidung der Waldränder auf die Biodiversität bei unterschiedlichen Standortbedingungen?
Wie unterscheidet sich die Beweidung von der maschinellen Auslichtung in ihrer Auswirkung auf die Biodiversität?
Tierwohl
Wie wirkt sich die Waldrand-Beweidung auf die Weidetiere aus?
Walderhaltung
Welchen Einfluss hat die Waldrand-Beweidung auf die Walderhaltung?
Ökonomie
Welche Kosten entstehen durch diese Nutzform für Land- und Forstwirtschaft?
Können maschinelle Folgeeingriffe durch die Beweidung reduziert werden?
Design
Für das Design werden im Mittelland 16 Betriebe gesucht, die einen gestuften Waldrand einrichten wollen. In diesem Waldrand werden vier Vorgehensweisen getestet: (1) Nur maschinelle Auslichtung, (2) nur Beweidung, (3) maschinelle Auslichtung gefolgt von Beweidung, (4) weder maschinelle Auslichtung noch Beweidung. Agroscope misst die verschiedenen Parameter (Biodiversität, Waldrandqualität, Walderhaltung, Tierwohl Wirtschaftlichkeit, Soziale Akzeptanz, etc.) unmittelbar vor und nach der Aufwertung, sowie 1 Jahr und 5 Jahre später. Die Beweidung soll mit Kühen/Rinden erfolgen. Folgende Kriterien sollen erfüllt sein: ein Waldrand (min 25m tief) mit einer Länge von min. 200m lang (mehrere Teilstücke möglich) mit einer an den Waldrand angrenzenden Wiese/Weide (min. 20m tief).