Entdeckungsreise zu Agnès nach St-Imier in die Käserei O’lait

Agnès und Michel beflügeln einander

Die fünfte Reise führt uns in den Berner Jura nach St-Imier zu Agnès Spielhofer-Beroud, die mit ansteckender Begeisterung, einer starken Überzeugung und grosser Kompetenz die Tradition ihres Vaters Michel in eine verheissungsvolle Zukunft führt.

Ein starkes Duo

Käserei O’lait 5 Reisebericht

Im Jahr 1988 übernahm Michel Beroud die Käserei in Rougemont im waadtländischen Pays-d’Enhaut und baute sie zu einem florierenden Kleinunternehmen aus. Er wurde mit seinem Tomme Fleurette, den er aus Rohmilch herstellte, weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Er gewann viele Preise und war der lebende Beweis, dass es möglich ist, auch in der Schweiz hervorragenden Weichkäse zu produzieren. Heute sind seine Erfahrungen für seine Tochter Agnès eine einzigartige Quelle der Inspiration. Die Inspiration ist jedoch gegenseitig, da Michel die vielen neuen Kreationen von Agnès mit grosser Begeisterung unterstützt und selber auch viel Neues lernen kann.

Eine neue Käserei in der alten Spenglerei

Käserei O’lait 5 Reisebericht

Im Herzen von St-Imier, gleich neben dem Bahnhof, konnte Agnès 2020 die alte Spenglerei kaufen und zu einer modernen Käserei umbauen, in der sie seit November 2021 nun ihrer Kreativität freien Lauf lassen kann. Die Käserei ist sehr zweckmässig eingerichtet, erfüllt zeitgemässe Hygieneanforderungen und es gibt auch genügend Platzreserven, damit die Produktion in den nächsten Jahren noch deutlich gesteigert werden kann.

Mit der Natur arbeiten

Käserei O’lait 5 Reisebericht

Die Verarbeitung von roher Milch erlaubt (und erfordert) sehr eng mit der Natur zu arbeiten. Für Agnès ist dies die stärkste Motivation, um auf eine Reduktion der natürlichen Mikrobiota durch die Erhitzung der Milch zu verzichten.

Sämtliche Milch stammt aus dem Berggebiet in der unmittelbaren Umgebung. Vom Bauer Mikaël Zürcher von Mont-Crosin bezieht Agnès sowohl Kuh-, als auch Ziegenmilch. Wie bei allen bisher besuchten Käsereien, wird auch in St-Imier die Rohmilch jeden Tag gründlich untersucht. Dies erfolgt primär mit bewährten Praxismethoden wie der Reduktase- und der Gärprobe. Diese Methoden sind äusserst empfindlich, können selbst kleinste Veränderungen bei der Mikrobiota aufdecken und eignen sich bestens für Ziegen- und Kuhmilch, wie aktuelle Forschungsergebnisse von Agroscope – einmal mehr – bestätigen.  

Die Sinnesorgane sind wichtiger als die Uhr

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Was fällt auf in der Käserei O’lait? Ganz bestimmt, dass unglaublich viel und stark mit den Sinnen gearbeitet wird. Es beginnt damit, dass eine Rohmilchprobe über Nacht bebrütet und anschliessend mit der Nase und dem Gaumen ausgiebig getestet wird. Eingelabt wird nicht nach einer bestimmten Zeit, sondern wenn die Milch «bereit» ist. Auch das wird mit Nase und Gaumen bestimmt. Das ist wirklich ein Arbeiten mit der Natur. Bei Agnès ist dies keine leere Floskel, sondern gelebte Realität. Auch der Zeitpunkt für das Schneiden der Gallerte oder für das Abfüllen des Käsebruches wird über die Sinnesorgane bestimmt. Es ist klar, dass dies sehr viel Erfahrung braucht und nicht in einem Lehrbuch nachgeschlagen werden kann.  

Bestätigung durch Messungen des pH-Wertes

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Es fällt auch auf, dass kontinuierlich der pH-Wert gemessen wird. Das Ziel ist dabei zu bestätigen, dass sich die Gärung so entwickelt wie aufgrund der Sinnesprüfungen angestrebt wurde. Die verschiedenen Käsekreationen unterscheiden sich zum Teil sehr deutlich bei der Herstellung, was z.B. der Zeitpunkt des Einlabens oder die Festigkeit der Gallerte vor dem Schneiden betrifft. Dies zeigt sehr eindrücklich auf, wie virtuos Agnès mit den verschiedenen Parametern umzugehen versteht.  

Halbhartkäse aus Ziegenmilch ist eine hohe Kunst

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Die Ziegenmilch wird nach der Anlieferung beprobt und direkt verarbeitet. Agnès stellt mit wachsendem Erfolg hervorragende Frisch- und Weichkäse aus Ziegenmilch her. Diese Produkte können jedoch nicht lange gelagert werden. Es ist deshalb für Agnès wichtig, das Sortiment auch um einen Halbhartkäse zu erweitern, um besser mit Schwankungen beim Absatz umgehen zu können und um ihren Bauern eine Professionalisierung zu ermöglichen. Bei der Ausreifung von Halbhartkäse besteht jedoch die Gefahr, dass Bakterien-Sporen auskeimen und zu einer Blähung führen. Ziegenmilch ist dafür etwas anfälliger als Kuhmilch, da diese Sporen natürlichweise im Boden vorkommen und die Ziegen das Gras viel kürzer abfressen als die Kühe. Dadurch fressen sie auch mehr verschmutztes Gras, da der Verschmutzungsgrad mit der Nähe zum Boden zunimmt. Dies kann vor allem bei nasser Witterung dazu führen, dass mehr Bakterien-Sporen den Weg in die Milch finden. Und Regen hatten wir ja in diesem Jahr bis jetzt wirklich mehr als genug. Vielleicht können die neuen Liebefeld-Kulturen Helv.01 und Contra C1 etwas Abhilfe schaffen, da Versuche bei Agroscope gezeigt haben, dass diese Kulturen das Wachstum der auskeimten Bakterien-Sporen zu hemmen vermögen.  

Affinage à l’ Agnès

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Agnès will nicht, dass die Käserinde zu fest wird und der Einfluss der Mikrobiota der Käserinde das Käse-Aroma zu stark dominiert. Sie pflegt deshalb ihre Käse regelmässig von Hand mit Wasser, in welchem etwas Salz aufgelöst wurde (Video). Mit dieser Käsepflege zerstört sie das Mycel des Milchschimmels und verhindert dadurch, dass der Schimmel zu stark den Charakter der Käse dominiert. Mit ihren Käsekreationen «Galait» und «Boulait» hat sie dieses Reifungsverfahren zur Perfektion getrieben. Bei der «Galette», der kleinen Schwester des «Galait», die aus Ziegenmilch hergestellt wird, ist die Textur jedoch so fein, dass eine Pflege von Hand nicht möglich ist. Darum hat diese Kreation einen viel kompakteren Schimmelrasen auf der Oberfläche.

Sicherheit und Qualität: 2 Seiten der gleichen Medaille

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Es ist für einen Wissenschafter stets eine grosse Befriedigung feststellen zu können, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse in der Praxis gelebt werden. An der wissenschaftlichen Konferenz über Rohmilchprodukte vom europäischen Netzwerk der handwerklichen Herstellerinnen und Hersteller von Käse und Milchprodukten (FACEnetwork) im letzten Jahr wurde aufgezeigt, dass beim Rohmilchkäse die Lebensmittelsicherheit und die Lebensmittelqualität zwei Seiten der gleichen Medaille sind (Link). Agnès lebt genau das in ihrem Alltag. Mit ihrem kompromisslosen Streben nach der besten Qualität erreicht sie zugleich, dass ihre Käse die immer höher werdenden Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit erfüllen können.

Eine kleine Anmerkung aus persönlicher Sicht: Leider basieren die laufend höher werdenden Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit nicht immer nur auf wissenschaftlichen Grundlagen. So machen zum Beispiel die Grenzwerte bei den Coli-Bakterien bei Käse aus hitzebehandelter Milch Sinn, da Coli-Bakterien die Hitzebehandlung nicht überleben können. Findet man im Käse aus hitzebehandelter Milch dennoch Coli-Bakterien ist dies ein Hinweis, dass entweder die Hitzebehandlung fehlerhaft oder die Hygiene nach der Hitzebehandlung ungenügend war. Beim Rohmilchkäse ist aber der Nachweis von Coli-Bakterien kein Indikator für eine ungenügende Hygiene bei der Herstellung, da Coli-Bakterien natürlicherweise selbst in der saubersten Rohmilch in geringen Mengen vorkommen können. Coli-Bakterien sind Umweltkeime und die allermeisten Stämme sind für uns Menschen völlig unbedenklich. Der Gesetzgeber hat das erkannt. Es ist schade, dass von den Marktteilnehmern zum Teil Anforderungen gestellt werden, die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen. Dies kann dazu führen, dass Herstellerinnen und Hersteller von Rohmilchkäse einen unfairen Wettbewerbsnachteil haben. Auch zu dieser Thematik gab es in der obenerwähnten Konferenz ein interessantes Referat (Link). Für Agnès ist jedoch völlig klar, dass sie mit ihren Käse alle Anforderungen erfüllen will, selbst wenn sie über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen.

Die milchigen Aromen sollen sich entfalten können

Käserei O’lait 5 Reisebericht

Die Käsekreationen werden nach Möglichkeit stets in eine durchsichtige Folie gepackt. Als Zeichen der Transparenz. Agnès will, dass die Konsumentinnen und Konsumenten den Käse sehen und prüfen können, bevor sie ihn kaufen.
Bei ihren Kreationen ist es Agnès stets sehr wichtig, dass die milchigen, rahmigen und buttrigen Aromen voll zur Geltung kommen. Und das gelingt ihr wirklich ganz hervorragend. Allen degustierten Käsen gemeinsam ist auch eine wunderbare Cremigkeit, ein schöner Schmelz auf der Zunge und eine langanhaltende Präsenz im Gaumen.

  • Bei der «Galette» ist die frische Ziegenmilch gut erkennbar, ohne dass sie aufdringlich wäre. Die Aromen wecken Erinnerungen an einen Frühlingsspaziergang im Jura über blühende Weiden und durch feuchte Wälder. Die Käserinde ist angenehm flauschig. Die «Galette» gefällt ganz bestimmt auch vielen Leuten, die sonst eigentlich lieber einen grossen Bogen machen um Ziegenkäse.
  • Der «Galait» ist der Bruder der «Galette» und wird aus Kuhmilch hergestellt. Er begeistert mit seiner unglaublich feinen Rinde. Das Aroma ist sehr lieblich und überaus facettenreich: Noch warme, eben gemolkene Rohmilch, Kräuter, Rosen, auch etwas Honig. Der pilzige, ammoniakalische Geruch, der sonst typisch ist für sehr viele Weichkäse, fehlt beim «Galait» und das ist gut so.
  • Der «Écru» ist ein Chamäleon und verblüfft, weil er sich im Gaumen wie ein junger Gorgonzola aufführt, obwohl er ja kein Blauschimmelkäse ist. Er ist zudem sehr fruchtig und auch ein Vanille-Aroma lässt sich entdecken.
  • Der «Fort A1652» entführt ans Mittelmeer. Er würde bei jeder mediterranen Käseplatte brillieren und niemand käme auf die Idee, dass dieser Käse im Schweizer Jura hergestellt und in einem Bunker in den Waadtländer Voralpen affiniert wurde. Er ist sehr rezent mit Aromen von Nüssen sowie von sehr reifen und gedörrten Früchten.


Bei den Mariages haben wir uns – saisongerecht – für eine Auswahl an Beeren entschieden.

  • Weichkäse mit einem milden Aroma wie der «Galait» vermählen sich gut mit Heidelbeeren. Die pflanzlichen Aromen wie Gras, Kräuter, Moos und Wald werden verstärkt und der Nachklang wird verlängert.
  • Rezente Weichkäse wie der «Fort A1652» und Brombeeren schleifen sich gegenseitig die Kanten: Die Schärfe vom Käse und die Säure von den Beeren werden abgemildert, die Aromenvielfalt kommt dadurch viel besser zur Geltung und es können sogar neue Facetten entdeckt werden, wie zum Beispiel eine dezente Barrique-Note.
  • Die Erdbeeren und die Himbeeren wollten sich hingegen mit den verschiedenen Käsen nicht vermählen. Es konnte jedoch ein anderer sehr spannender Effekt festgestellt werden. Die Beeren reinigen und erfrischen den Gaumen. Bei dieser «Reinigung» werden die Aromen der Beeren sogar – wie bei einem Sirup – noch verstärkt, wahrscheinlich weil die Nerven durch den Käse hellwach sind. Der erfrischte Gaumen ist dann bereit für den nächsten Käsegenuss. Diese Feststellung schafft Raum für neue Ideen beim Käsegenuss, wie z.B. Käse-Beeren-Spiessli beim Apéro oder neue Dessert-Kreationen. Und ja: Erdbeeren und Himbeeren können jede Käseplatte nicht nur optisch bereichern.

Die Mariages mit den Beeren haben uns einmal mehr bestätigt, wie unglaublich vielseitig Käse kombiniert werden können. Dabei sind stets auch neue und zum Teil überraschende Entdeckungen möglich.

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Letzte Änderung 18.07.2024

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