Die siebte Reise führt uns in den Kanton Luzern auf den Erlebnishof Agrovision Burgrain AG in Alberswil, wo Besucherinnen und Besucher die gesamte Wertschöpfungskette biologischer Lebensmittel hautnah erleben können. Mit starker Überzeugung werden handwerkliche und bäuerliche Berufsfelder langfristig gefördert.
Vollweide mit Winterkalbung

Auf dem Bio-Betrieb Burgrain leben die Kühe auf der Vollweide und kalben saisonal ab. Ende Herbst werden die Kühe trocken gestellt und im Frühjahr ist Abkalbesaison. Im Winter wird ausschliesslich Heu gefüttert. Ab April holen die Kühe dann ihr Futter auf der Weide, im Stall wird nichts mehr zugefüttert (ausser Heu bei Trockenheit). Damit das ganze Jahr Milch verarbeitet werden kann, wird eine Gruppe von 20 Kühen etwas früher trockengestellt, so dass sie bereits im Dezember abkalben.
Mit der Vollweide werden bewusst keine Hochleistungen angestrebt, dafür ist die Futterbeschaffung sehr naturnah, einfach und günstig. Und es werden keine Futtermittel verwendet, die viel effizienter direkt in der menschlichen Ernährung eingesetzt werden können, wie zum Beispiel Getreide oder Soja. Kleinere Holstein-Kühe verwandeln das Weidegras effizient in Milch mit einem hohen Gehalt an Fett und Eiweiss.
Dora, Jahrgang 2014

Beim Melkstand hängt eine Liste mit den Namen der Kühe, den Namen des Vaters, der Mutter und der Grossmutter sowie dem Jahrgang und der Anzahl Laktationen. Es sticht ins Auge, dass auf dem Burgrain die Hälfte der Kühe vier oder mehr Laktationen aufweisen. Spitzenreiterin ist Dora mit bereits 9 Laktationen. Dank der extensiven Haltung werden die Kühe also deutlich älter. Eine Schweizer Milchkuh wird durchschnittlich fünf bis sechs Jahre alt und leistet in dieser Zeit 3.5 Laktationen, bevor sie aus dem Produktionsprozess ausscheidet. Es gibt auch Länder, in denen die Kühe im Vergleich zur Schweiz im Mittel noch weniger Laktationen vorweisen. Kühe könnten sogar bis zwanzig Jahre alt werden (Quelle: bio-aktuell).
Im Melkstand fällt auch die professionelle Arbeit auf: Die hohen Anforderungen an die Melkhygiene bei Milch, die zu Rohmilchkäse verarbeitet wird, werden mit grosser Routine und Aufmerksamkeit erfüllt. Es überrascht nicht, dass die hohe mikrobiologische Qualität der Milch auch bei den regelmässigen Kontrollen in der Käserei bestätigt wird.
Grosse Schwankungen bei Menge und Gehalt

Im Verlauf der Laktation nimmt in der Regel die Milchmenge ab und der Gehalt an Fett und Eiweiss zu. Da in Burgrain alle Kühe im Winter abkalben, bedeutet dies, dass im Winter deutlich weniger Milch produziert wird, es im Frühling jeweils zu einer «Milchschwemme» kommt und der Gehalt im Herbst meistens am höchsten ist.
Ein sehr wichtiger Faktor ist aber auch die Menge und die Qualität des Futters - im Falle eines Vollweidebetriebs die Menge und Qualität des Grases bzw. des Heues. Und hier spielt das Wetter eine ganz wichtige Rolle. Wie gross dieser Einfluss sein kann, sei an einem Beispiel aufgezeigt: Der Milchgehalt (Fett + Eiweiss) im August in den letzten 4 Jahren bewegte sich in Burgrain zwischen 8.52% (2021) und 7.38% (2023).
Die jährliche Milchmenge beträgt ungefähr 350'000 Liter. Die kuhwarme Milch wird direkt nach dem Melken mit dem Milchtank mit Elektroantrieb zu Fuss zur Käserei gebracht. Dort wird sie am Abend auf 6°C gekühlt und am Morgen zusammen mit der aufgewärmten Abendmilch direkt verarbeitet.
Hohes Mass an Flexibiltät und Fachwissen

Das Team von Betriebsleiter Martin Stadelmann in der Biokäserei ist sehr stark gefordert: auf der einen Seite aufgrund der grossen Schwankungen bei der Milch (Menge und Gehalt) und auf der anderen Seite aufgrund der grossen Schwankungen beim Verkauf. Die steigende Beliebtheit von Raclette und Fondue führen dazu, dass es in der kalten Jahreszeit jeweils deutlich mehr Käse braucht.
Es braucht grosse Erfahrung, wann welche Käsesorte hergestellt werden soll, damit die Käse stets mit einem optimalen Reifegrad für den Verkauf bereit stehen. Und bei der Herstellung braucht es wegen dem unterschiedlichen Gehalt sehr viel Fingerspitzengefühl, damit sich die Gerinnung und die Gärung im angestrebten Bereich bewegen. Eine wichtige Steuergrösse ist dabei das Vorreifen der Milch, also die Dauer und die Temperatur zwischen der Zugabe der Starterkulturen und dem Einlaben. Damit wird der Verlauf der Milchsäuregärung gesteuert und auch massgebend die Gerinnungseigenschaften bestimmt. Beide Faktoren beeinflussen in der Folge zusammen die Synärese, das heisst das Zusammenziehen der Bruchkörner durch das Auspressen der Molke. Auch hier kann beim Käsen über die Temperatur und die Zeit massgeblich eingewirkt werden.
Zuschauen erwünscht

Auf dem Burgrain wird die Herstellung von Bio-Lebensmitteln zu einem attraktiven Erlebnis. Darum gibt es auch keine Geheimnisse vor den Besucherinnen und Besuchern, die (fast) überall reingucken dürfen – auf dem Feld, auf dem Hof und natürlich auch in die Biokäserei.
Die Käserei sieht ganz neu aus, obwohl sie bereits vor 10 Jahren gebaut wurde. Alles befindet sich auf dem gleichen Boden und die Einrichtung ist sehr zweckmässig. Und auch in der Biokäserei in Burgrain fällt auf, wie sauber alles ist. Das gründliche Reinigen gehört bei der Herstellung von Rohmilchprodukten einfach dazu.
Vielseitige Produkte

Die Besucherinnen und Besucher können hautnah miterleben, wie mit viel Handarbeit rund ein Dutzend verschiedene Bio-Käsesorten, eine Fondue-Mischung, Butter sowie eine bunte Palette von Joghurt, Quark und Joghurtdrinks hergestellt werden. Es werden bewusst möglichst schonende Herstellungsverfahren und regionale Rohstoffe eingesetzt. Die Arbeit im Einklang mit der Natur und die Verbindung zur landwirtschaftlichen Kultur haben einen spürbar hohen Stellenwert. Beispielsweise wird für die Joghurt bewusst Milch von Jersey-Kühen von einem Nachbarbetrieb verwendet. Diese Milch ist sehr gehaltsreich und so kann auf den Zusatz von industriell hergestelltem Milchpulver verzichtet werden und das Joghurt wird dennoch schön cremig.
Die Milchprodukte vom Burgrain werden vor Ort im Restaurant serviert, in den eigenen Hofläden zum Verkauf angeboten und über die eigene Vertriebsplattform in Bio-Läden und Supermärkte in die ganze Deutschschweiz geliefert.
Die Liebe zum Detail macht den Unterschied

Martin will zusammen mit seinem Team die Qualiät der Produkte weiter verfeinern. So wird versucht die Textur der Käse noch etwas cremiger und das Aroma noch etwas reicher hinzubekommen. Dazu braucht es sehr viel Liebe zum Detail. Ein sehr eindrückliches Beispiel dieser Liebe war es zuzuschauen, mit welcher Präzision ein vorgepresster Käseblock zu elf gleich schweren Käselaiben zugeschnitten wurde.
Damit die Käse als «vegetarisch» angepriesen werden können, wird auf den Einsatz von Kälberlab verzichtet und stattdessen ein mikrobielles Gerinnungsmittel eingesetzt. Auch hier ist viel Fachwissen gefordert.
Gut erkennbarer Einfluss der Milch

Für die sensorische Beschreibung haben wir drei Halbhart- und einen Hartkäse – alle wie gewohnt aus 100 % Rohmilch –ausgewählt. Die vier Käse sind sehr eigenständige Charaktere. Der Einfluss der variablen Zusammensetzung der Milch lässt sich gut erkennen. Es ist mutig und lobenswert, dass im Burgrain keine Kompromisse bei der Haltung der Kühe eingegangen werden, damit die Qualität der Käse einheitlicher wird. Es gilt umgekehrt der Anspruch, dass aus jeder Milch qualitativ hochwertige Lebensmittel hergestellt werden können und dabei saisonale Unterschiede schlicht dazugehören. Damit dies gelingen kann, braucht es ausgewiesene Fachleute bei der Herstellung sowie Konsumentinnen und Konsumenten, die gut verstehen, was es bedeutet wenn im Burgrain sehr eng mit der Natur zusammengearbeitet wird.
- Das Mutschli (2 Monate gereift) wurde Mitte November hergestellt. Zu einem Zeitpunkt, wo die Kühe zum Ende ihrer Laktationsperiode kommen. Und diesen Einfluss können wohl nicht nur Fachleute gut erkennen. Die Aromen sind insgesamt etwas rustikaler und herber. Dennoch überzeugt das Mutschli mit einer frischen Säure, einer buttrigen Note und angenehmen süsslichen Aromen wie Caramell und Vanille. Der Käse zergeht schön auf der Zunge und die leichte Klebrigkeit und Mehligkeit stören kaum.
- Der Bläsi mild (4 Monate gereift) überrascht mit einem ausgeprägten Zwiebelaroma, ist sehr würzig und belebt mit seiner frischen Säure den Gaumen.
- Der Bläsi rezent (9 Monate gereift) verwöhnt mit einem bunten Strauss an Aromen: blumig, grasig, Citrus-Noten, Bouillon (umami) und auch Trockenfrüchte (Pflaumen). Er hat auch einige Kristalle, die den Genuss noch spannender machen.
- Der Burgkäse (ein 12 Monate gereifter Hartkäse) ruht in sich selbst. Die Aromen sind weniger intensiv als erwartet, dafür umso facettenreicher. Mit jedem Bissen lassen sich neue Aromen entdecken. Darunter auch Aromen, die sonst eher selten im Käse auftreten, wie z.B. gekochtes Gemüse, Morcheln oder Wald. Die vielen Aromen fügen sich zu einem filigranen, harmonischen Kunstwerk zusammen.
Bei den Mariages haben wir uns für eine Auswahl an hausgemachten Brotaufstrichen entschieden, welche ebenfalls im Hofladen angeboten werden.
- Der Löwenzahn hat insgesamt einen eher schweren Stand gegenüber den Käsen. Seine eigene Aromatik wird vom Käse rasch überdeckt. Es gibt aber einen interessanten Effekt, da die Käse mit dem Löwenzahn-Aufstrich eher etwas lieblicher und reifer wahrgenommen werden.
- Die Tannenspitzen betten beim Mutschli die rustikalen Noten wunderbar ein und es kommt zu einem schwungvollen Walzer zwischen den Tannenspitzen- und den Mutschli-Aromen.
- Die Holunderblüten passen wunderbar zu allen Käsesorten. Ihr charakteristisches Aroma bleibt stets gut wahrnehmbar, fügt sich aber fabelhaft in die Käsearomen ein. Die Süsse des Aufstrichs und die Säure der Käse begeistern mit einem anmutigen Wechselspiel. Kleine und grosse Kinder dürften grosse Freude haben an den Gummibärchen, die bei der Mariage mit dem Bläsi rezent den Gaumen verzücken.
- Auch der Quitten-Aufstrich ist nicht wählerisch, lässt sich mit jedem Käse ein und sorgt dabei für viel Frische und eine schöne Harmonie.
- Die Zwetschgen passen vorzüglich zum Bläsi rezent. Sie nehmen ihm die Schärfe, verzaubern mit orientalischen Aromen und wecken ein Gefühl wie bei einem Spaziergang in der Herbstsonne. Und der Nachklang ist schlicht «der Hammer»: sehr fruchtig (nicht nur Zwetschgen), frisch Gebackenes (z.B. Muffin oder Biscuits) und unglaublich lange anhaltend, ohne dabei an Magie zu verlieren.
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Letzte Änderung 02.05.2025