Die sechste Reise führt uns in die Region See-Gaster im Kanton St. Gallen in die Erlebniskäserei in Goldingen, wo Alois («Wisi») Pfister tagtäglich beweist, dass Nachhaltigkeit und genussvolle Milch- und Fleischprodukte durchaus im Einklang stehen können.
100 Jahre Kreislaufwirtschaft

Die Molke aus der Käsefabrikation verfüttert Wisi an seine Kräuter-Schweine. Dabei werden die Tiere zusätzlich mit einer natürlichen Kräutermischung gefüttert. Das Resultat ist ein hochwertiges Fleisch, das ausgezeichnet schmeckt. Die Gülle der Kühe und der Schweine wird zur Düngung der Weiden benutzt. Eine Kreislaufwirtschaft, die Wisis Grossvater und Grossonkel gepflegt haben, als sie im Jahr 1924 die Käserei in Goldingen übernahmen. Und heute ist auch bekannt, wie die Gülle auszubringen ist, ohne das Klima und unseren Geruchssinn zu strapazieren. Auf den Weiden in Goldingen findet sich nur wenig Sauerampfer, was ein Zeichen ist, dass es keine Überdüngung mit Gülle gibt. Für Wisi ist das tägliche Intermezzo mit seinen Schweinen ein lieb gewonnener Ausgleich zur Arbeit in der Käserei.
Wisi zählt sich selbst zur «alten Garde», weil es ihm wichtig ist, bewährte Traditionen zu pflegen. Sein Umgang mit dem Smartphone zeigt beispielhaft, dass er aber auch die Vorzüge des Fortschritts zu schätzen und nutzen weiss.
Gegenseitiges Vertrauen zwischen den Bäuerinnen, den Bauern und ihrem Käser

Wisi hat grosses Verständnis für seine Bäuerinnen und Bauern und ist sich bewusst, dass sie heute eine äusserst anspruchsvolle Arbeit haben und den unterschiedlichsten, sich zum Teil widersprechenden Ansprüchen, gerecht werden müssen. Umgekehrt kennen die Bäuerinnen und Bauern die Wichtigkeit einer hohen Milchqualität bei der Herstellung von Rohmilchkäsen. Der freundschaftliche Schwatz bei der zweimal täglichen Milcheinleiferung zeugt für die gegenseitige Wertschätzung.
In Goldingen gibt es ein saisonal angepasstes Preissystem für die Milch, damit nicht zu viel Milch im Frühling eingeliefert wird, da im Sommer erfahrungsgemäss weniger Käse konsumiert wird.
Keine «anonyme» Milch

Es ist schlicht nicht möglich aus einer beliebigen Rohmilch, die mit einem Tanklastwagen von irgendwoher angeliefert wird, qualitativ hochwertige und sichere Rohmilchkäse herzustellen. Die Käserinnen und Käser müssen die Bäuerinnen und Bauern sehr genau kennen. Und diese müssen ihre Kühe ebenso genau kennen. Es ist wichtig, auch kleinste Abweichungen frühzeitig zu erkennen, sie zur Sprache zu bringen und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen.
Wisi hängt die Untersuchungsergebnisse der Milchqualität stets neben der Türe auf. Gut sichtbar für alle.
Inspiriert von Fredy Bieri

Fredy Bieri war der Pionier des Rohmilchkäses im Zürcher Oberland und er war auch Erfinder, Sinnstifter und Wegbereiter von natürli (Link). Er verfolgte das Ziel, die Existenzgrundlage der Dorfkäsereien zu sichern und die damit verbundene traditionelle Käsekultur in der Region zu erhalten. Seit 1995 bietet die natürli zürioberland ag ein umfassendes und vielseitiges Sortiment an hochwertigen Käse und Milchprodukten regionaler Kleinkäsereien an.
Und Fredy Bieri hat Wisi überzeugt doch auf die Thermisation der Abendmilch zu verzichten und voll auf die Vorzüge des Rohmilchkäses zu setzen. Diesen Schritt wagte Wisi zuerst nur mit seinen Halbhartkäse-Spezialitäten. Ermutigt durch den Erfolg, zog er dann auch mit dem Appenzeller-Käse nach. Heute ist Wisi wohl der einzige Käser, der den Appenzeller Käse aus Rohmilch herstellt und nicht nur mit Rohmilch.
Für Wisi ist natürli der wichtigste Absatzpartner. Das starke Überangebot an Käsen in der Schweiz und in wichtigen Exportländern stellt auch natürli vor grosse Probleme. Die Vision von Fredy Bieri muss weiterentwickelt werden, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Rohmilchprodukte haben viele Vorzüge, die heute noch zu wenig zur Geltung kommen, wie eine Literaturübersicht und eine wissenschaftliche Konferenz zeigen.
Einen grossen Teil seiner Käse lässt Wisi in den wunderbaren Gewölbekellern von natürli in Saland (Foto) ausreifen, was die enge Partnerschaft weiter verstärkt.
Gärungen brauchen ihre Zeit

Der obenstehende Titel ist ein Zitat von Wisi. Es überrascht nicht, dass es auch bei ihm die eine oder andere Eigenheit zu entdecken gibt. So verzichtet er auf die Zugabe von Wasser in die Milch, weil damit nicht nur der Milchzucker, sondern auch viele weitere wertvolle Bestandteile verdünnt werden. Die zugesetzte Labmenge ist deutlich kleiner als üblich und die Gerinnungszeit entsprechend länger. Mit dem schönen Nebeneffekt in aller Ruhe gemeinsam das Morgenessen geniessen zu können. Damit die Synärese und der Säuerungsverlauf dennoch im angestrebten Rahmen verlaufen, werden die Temperaturen und Zeiten entsprechend angepasst. Bei den Parametern für die Herstellung von Appenzeller-Käse und seinen Spezialitäten gibt es die eine oder andere feine Nuance, damit eigenständige Produkte entstehen. Eine Gemeinsamkeit haben sie jedoch: Wisi schwört auf die Verwendung von Rohmischkulturen der Liebefeld-Kulturen, wobei er virtuos gleich vier Kulturen kombiniert. Und stets kommt noch etwas Joghurt dazu, das er seit Jahren selber weiterzüchtet. Und das alles bei einer Bebrütungstemperatur, die so auch in keinem Lehrbuch steht.
Die Labgärmolke ist für Wisi die aussagekräftigste Analyse. Dazu wird eine Milchprobe nach der Labzugabe aus dem Kessi entnommen und während 1 Tag bebrütet. Dabei bildet sich im Reagenzglas ein Käsestängel (Foto). Die Beschaffenheit dieses Käsestängels, die Messung des Säuregrades sowie ein kleiner Schluck von der Molke geben Wisi wertvolle Informationen über die Milchqualität und den Gärungsverlauf. Zwischendurch wird die Labgärmolke einen zweiten Tag bebrütet und erneut untersucht, was weitere Rückschlüsse erlaubt.
Nicht immer alles gleich desinifizieren

Alle Gerätschaften und Anlagen, die Kontakt haben mit der Milch oder mit dem gärenden Käse sind blitzblank und werden unmittelbar nach Gebrauch sehr gründlich gereinigt. Sonst wäre es gar nicht möglich, solch hervorragende Käse herzustellen.
Wisi ist sich aber bewusst, dass er auch auf eine gesunde Haus-Mikrobiota angewiesen ist und er würde niemals sein Salzbad entkeimen oder die Holzbretter vom Käsekeller desinfizieren. Die Haus-Mikrobiota besetzt ökologische Nischen, welche sonst leicht durch zufällige, möglicherweise unerwünschte Mikroorganismen in Beschlag genommen werden können.
Vier starke Standbeine

Drei Standbeine wurden in den vorhergehenden Kapiteln bereits erwähnt: die Kräuterschweine, die Vermarktung über natürli und der Appenzeller-Käse, bei dem Produktionsmenge, Qualitätsbeurteilung und Vermarktung von einer Sortenorganisation gelenkt werden.
Das vierte Standbein ist ein beeindruckend grosser Direktverkauf. Wisi hat nach eigenen Angaben nicht bloss Kunden, sondern gleich einen Fan-Klub.
Rohmilchkäsereien sind auch ausgezeichnete Lehrbetriebe

Um Rohmilchkäse herzustellen braucht es ein feines Gespür, - auch so ein Zitat von Wisi. Es ist ein Arbeiten mit der Natur. Jeder Tag ist speziell. Wisi ist sich sicher, dass es beim Aufrahmen der Abendmilch über Nacht im Kessi je nach Mondphase Unterschiede geben kann. Auch bei der Gerinnung, bei der Säuerung oder der Synärese kann es kleinere Abweichungen geben, die leichte Anpassungen bei der Herstellung erfordern. Dieses feine Gespür kann man am besten von erfahrenen Berufsleuten erlernen. Auch für Wisi ist die Ausbildung von Lernenden ein wichtiges Anliegen. Aktuell ist er der Lehrmeister von Kevin und er führt ihn mit grossem Engagement in die faszinierende Käsekunst ein.
Nachfolge gesucht

Gemessen an der gut spürbaren Freude von Wisi an seiner Arbeit, ist die Käserei Goldingen ein attraktives Unternehmen und eine einzigartige Chance für alle Käserinnen und Käser, die das Schicksal gerne in die eigene Hand nehmen wollen und am liebsten zuhause arbeiten.
Leider ist die Suche von Wisi nach einer Nachfolge bis heute noch erfolglos geblieben. Es wäre eine schöne Geschichte, wenn der vorliegende Bericht diese Türe aufstossen könnte.
Die Familie Pfister und ihre Käserei wurde in der Serie «Wohl bekomms: Käse, Laib und Leben» von Servus TV porträtiert. Dieser sehenswerte Film gibt einen sehr schönen Einblick in das faszinierende Handwerk und das erfüllte Leben von Wisi.
- Nach 4 Monaten gefällt der Käse mit einem sehr angenehmen Mundgefühl und einem milden Aroma aus milchigen und blumigen Facetten. Sehr erfrischend (Crème fraiche) und auch leicht süsslich (Honig). Es ist ein Käse, von dem man gerne ein weiteres Stück geniesst und nicht so schnell genug bekommt. Und es ist ein Käse, der viel Potenzial für eine verlängerte Reifung verspricht.
- Nach 9 Monaten ist der Käse sehr rezent, gar etwas pikant. Das Aroma hat stark an Komplexitiät zugelegt und umfasst nun auch rauchige Facetten, Speck, Zwiebel und Karamell. Der Geschmack wird nun durch eine markante umami-Note bereichert. Der Käse entführt uns in Gedanken in eine Alpkäserei.
- Der 14-monatige Goldinger Gourmet sorgt für eine grosse Überraschung. Erwartet haben wir, dass er noch etwas rezenter ist, vielleicht sogar etwas zu rezent. Weit gefehlt! Der Käse begeistert uns mit seiner schönen Harmonie. Beim Kauen sorgen die Kristalle für viel Spektakel. Der Käse schmilzt wunderbar im Gaumen. Und das Aroma ist äusserst vielfältig. Zusätzlich lassen sich nun auch nussige, fruchtige (z.B. Dörraprikosen), erdige und holzige Aromen entdecken.
Bei den Mariages haben wir uns für eine Auswahl an Bieren aus der Region entschieden, da auch Wisi zu seinen Käsen am liebsten ein Bier geniesst.
- Mit keinem der Käse wollten sich das «Pale Ale» (Bier zu dominant) und das Pilsner (zu starkes Hopfenaroma, zu bitter) vermählen.
- Das Weizenbier gefiel uns sehr gut zusammen mit dem 4-monatigen Käse: Sehr belebend, erfrischend und fruchtig. Und mit einer überraschenden Vanille-Note. Die ideale Kombination für die erste Hälfte bei einem Fussball-Match. Damit lassen sich Hunger und Durst wunderbar stillen und die Stimmung gewinnt mit jedem Bissen und jedem Schluck an Fahrt.
- Für die zweite Hälfte des Fussball-Matches empfiehlt sich die Kombination von einem hellen Bier mit dem 9-monatigen Goldinger Gourmet. Das Bier nimmt dem Käse die Schärfe und der Käse mildert die Bitterkeit des Bieres. Und über allem thront ein wunderbares Karamell-Aroma. Eine Kombination, die alle Sinne weckt und einen wunderbar langen Nachklang hat, so dass die Aufmerksamkeit nun ganz dem Fussball-Match gehört.
- Und nach dem Match gibt es entweder einen Grund zum Feiern oder es muss eine Enttäuschung verdaut werden. Für beide Szenarien ist die Kombination vom 14-monatigen Goldinger und einem Lager-Bier ideal. Was für ein fulminantes Feuerwerk an Aromen! Und die unerschütterliche Erkenntnis, dass es im Leben viel wichtigere Dinge als Fussball gibt.
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Letzte Änderung 25.10.2024