Entdeckungsreise zu Hans und Johannes nach Oberegg

Begeisterung für Tradition und Innovation

Die zweite Reise führt uns nach Oberegg zu Hans und Johannes Eberle. Sie begeistern mit ihrem Respekt für Traditionen und ihrem Feuer für Innovationen.

Der Nachtwächter-Käse – eine Hommage an eine grosse Tradition

Der Nachtwächter-Käse – eine Hommage an eine grosse Tradition
Foto: Stadt Bischofszell

Bis 1940 standen im barocken Bischofszell noch Nachtwächter auf der Lohnliste der Stadt. Im Gedenken an diese Tradition wurde 2004 die Bischofszeller Nachtwächter- und Türmerzunft im Beisein von über 30 Nachtwächtern und Türmern aus ganz Europa gegründet. Diese Zunft ist noch heute sehr aktiv und bietet beispielsweise die beliebten Nachtwächter-Rundgänge an. Die Gründung der Zunft inspirierte Hans und so lancierte er 2006 mit grossem Erfolg seinen einzigartigen Nachtwächter-Käse.  

Vom Emmentaler über den Appenzeller zum Nachtwächter

Vom Emmentaler über den Appenzeller zum Nachtwächter

Im Jahr 1980 stellte der Vater von Hans in der Käserei Oberegg von der Herstellung von Emmentaler-Käse auf die Herstellung von Appenzeller-Käse um. 1987 übernahm Hans den Betrieb und schrieb an der Erfolgsgeschichte von Appenzeller-Käse mit. Parallel mit dem Erfolg wurden die Forderungen der Marktpartner immer lauter, dass die Käsequalität möglichst hoch und möglichst konstant sein müsse. Damit nahm die Bedeutung der Milch-Thermisierung zu und der Appenzeller Käse wurde von einem «Käse aus Rohmilch» zu einem «Käse mit Rohmilch».

Hans entwickelte 2006 den Nachtwächter-Käse mit den Zielen, möglichst viel vom traditionellen Handwerk weiter zu pflegen und eine neue Käsesorte zu lancieren, die sich deutlich vom Appenzeller-Käse differenziert.

Im 2010 konnte zusätzlich die Nachbarkäserei in Muolen übernommen werden und seither stellt Hans in der Käserei Oberegg ausschliesslich Nachtwächter-Käse her. 2018 übergab er die Geschäftsführung des erfolgreichen Familien-Unternehmens an seinen Sohn Johannes.

Eberles sind Spezialisten für Fettsirten-Magenlab

Eberles sind Spezialisten für Fettsirten-Magenlab

Früher, als es noch keinen Lab-Extrakt und keine Starterkulturen gab, war das Fettsirten-Magenlab unentbehrlich und sorgte für die Gerinnung und die Gärung. Heute gibt es nur noch wenig Fachleute, die Erfahrung haben damit. Hans und Johannes sind weit herum anerkannt und nachgefragt als Spezialisten und benutzen es für die meisten Käsesorten, so auch beim Appenzeller-Käse. Klar, dass es beim Nachtwächter-Käse eine zentrale Rolle spielt.

Für die Herstellung wird unmittelbar nach dem Schneiden der Gallerte ein Kessel voll Sirte mit Käsebruch (Käsekörner) entnommen und leicht erhitzt. Ein Teil der Sirte wird anschliessend in einen Kessel mit geschnittenen Kälbermägen aus Frankreich (Foto) gefüllt, etwas «Casol» (eine Mischung von Essig- und Propionsäure) zugesetzt und im «Labkasten» bebrütet. Der Rest der Sirte wird im Kühlraum abgekühlt. Nach zwei Stunden werden die beiden Anteile wieder zusammengeschüttet, mit einer Rohmischkultur und einer Lochbildungskultur von den Liebefeld Kulturen beimpft und über Nacht im Labkasten bebrütet. Am nächsten Morgen sollten die Labmägen und der Käsebruch obenauf schwimmen. Anschliessend wird das Fettsirten-Magenlab aufgerührt, abgesiebt, der Säuregrad gemessen und bis zum Einsatz im Kühlraum aufbewahrt. Gemäss Johannes sollte ein gutes Fettsirten-Magenlab mindestens 60 Säuregrade haben und vier Mal mehr «Stäbchen» (Laktobazillen) als «Kettchen» (Streptokokken) enthalten, was deutlich höher ist als sonst in den Starterkulturen. Diese Laktobazillen stammen aus den Starterkulturen, aus der Rohmilch und aus dem Labmagen. Sie sorgen für das einzigartige Aroma und einen höheren Reifegrad im Käse. Der Käsebruch hat beim Fettsirten-Magenlab eine wichtige Funktion, da er die gebildete Milchsäure abpuffert, dadurch einen zu raschen Abfall des pH-Wertes verhindert und den Laktobazillen eine stärkere Vermehrung erlaubt.

Viel handwerkliches Geschick erforderlich

Viel handwerkliches Geschick erforderlich

Bis zur Labgerinnung ist die Herstellung des Nachtwächter-Käses sehr konventionell. Doch dann ist vieles ein bisschen anders als erwartet. Die Labgallerte wird überraschend fein geschnitten, die rasche Säuerung und die Zugabe von heissem Wasser sorgen dafür, dass sich auf den Käsekörnern eine feine Haut bildet und diese dadurch weniger austrocknen. Nach einem ersten Pressen wird portioniert. Die Käsemasse ist immer noch sehr weich und die Verwendung der traditionellen Käsetücher erweist sich als grosser Vorteil.

Bei der Entwicklung des Nachtwächter-Käses hatte Hans einen lebhaften Austausch mit dem legendären Käsereiberater Werner Friedli. Dannzumal wurden sie noch als «Käserei-Inspektoren» bezeichnet und arbeiteten für die kantonalen Milchwirtschaftlichen Kontroll- und Beratungsdienste. «Werner hat den Nachtwächter-Käse stark mitgeprägt» schwärmt Hans voller Bewunderung.  

Milchsäurebakterien aus der Rohmilch tragen zur Gärung bei

Milchsäurebakterien aus der Rohmilch tragen zur Gärung bei

Vor und nach der Zugabe des Labs wird aus dem Kessi jeweils eine Probe entnommen, in Reagenzgläser gefüllt, im Labkasten bebrütet und anschliessend der Säuregrad gemessen. Bis zur Gerinnung gibt es keine wesentlichen Unterschiede zwischen der Herstellung von Appenzeller- und Nachtwächter-Käse, ausser dass beim Nachtwächter-Käse ausschliesslich Rohmilch verwendet wird. Interessanterweise sind die Säuregrade beim Nachtwächter-Käse stets etwas höher im Vergleich mit dem Appenzeller-Käse, was ein starkes Indiz ist für den Einfluss des Mikrobioms aus der Rohmilch auf die Milchsäuregärung im Käse. In der Probe, die nach der Labzugabe entnommen wird, bildet sich ein Käse-Stängeli, das jeweils gründlich begutachtet wird und wichtige Hinweise zum Verlauf der Labgerinnung, Milchsäuregärung und Synärese (Kontraktion der Milchproteine) ergibt (Foto).

Für weitere Untersuchungen werden bei den Entdeckungsreisen stets auch die jeweiligen Rohmilchprodukte zu Agroscope ins Liebefeld mitgenommen. Zum einen für die sensorische Beschreibung. Zum anderen werden auch Proben gefasst für die Analytik bei Agroscope. Neben der chemischen und biochemischen Zusammensetzung werden das Mikrobiom und die Aromakomponenten untersucht. Es ist ein erklärtes Ziel die Analysenergebnisse wissenschaftlich zu publizieren und damit die Diversität der Rohmilchprodukte zu dokumentieren. Vielleicht gelingt es die Milchsäurebakterien aus der Rohmilch zu identifizieren, welche beim Nachtwächter-Käse zur Gärung beitragen.

Viel Aufwand für eine einwandfreie Rohmilchqualität

Viel Aufwand für eine einwandfreie Rohmilchqualität

Eberles stellen sehr hohe Anforderungen an die mikrobiologische Qualität der Rohmilch. Von jedem Bauern wird die Milch täglich mittels einer Gärprobe und alle 2 Tage zusätzlich mit einer vorbebrüteten Reduktaseprobe untersucht. Mit diesen beiden Proben können sie ein breites Spektrum an unerwünschten Mikroorganismen abdecken und sichern damit die sehr hohe Qualität und Sicherheit ihrer Käse. Bei den Bauern lösen diese hohen Anforderungen einen beträchtlichen Mehraufwand aus, so werden zum Beispiel die Zitzenbecher der Melkanlagen nach jeder Kuh zwischengespült (Foto) oder die Zitzen werden vor dem Melken mit zwei, statt nur mit einem Feuchttuch gereinigt. Auch wird die ganze Melkanlage zwei Mal pro Tag gründlich gereinigt, alternierend mit Lauge und mit Säure. Der Aufwand lohnt sich, da die Bauern bis zu 6.5 Rappen pro Liter mehr bekommen, wenn sie die hohen Anforderungen erfüllen. «Manchmal muss man die Bauern auch etwas motivieren», zeigt sich Hans überzeugt. Es sei auch wichtig, dass der Käser die spezifischen Schwachpunkte bei den einzelnen Höfen kenne, um gezielt unterstützen zu können.

«Wir sind Vegional»

«Wir sind Vegional»

«Aus Liebe zum Käse» lautet das Motto in den Käsereien in Oberegg und Muolen. Es mag überraschen, dass Johannes Initiator ist für die Herstellung von veganen Alternativen aus Lupinen. Das «Lupighurt» hat schon viele Freunde gewonnen. Mit grossem Enthusiasmus wird weiter getüftelt, um die Produkte zu verbessern und das Angebot zu erweitern.

Ziel ist, dass die Rohstoffe regional produziert werden, dies im Unterschied zu vielen veganen Alternativen, die heute auf dem Markt angeboten werden. Gemäss Johannes gibt es viele Gemeinsamkeiten bei der Herstellung von Milchprodukten und den pflanzenbasierten Alternativen: «die Technologie ist vergleichbar, die Fermentation steht im Zentrum und es braucht die gleichen Milchsäurebakterien». Käserinnen und Käser haben viel Erfahrung mit den hohen Anforderungen an die Rohstoffe, die Hygiene, das Qualitätsmanagement und die gute Herstellungspraxis. Es gibt aber auch die eine oder andere neue Nuss, die zu knacken ist, wie zum Beispiel unerwünschte aerobe Sporenbildner, die auf den pflanzlichen Rohstoffen vorkommen können.

Schwarz wie eine Neumond-Nacht

Schwarz wie eine Neumond-Nacht

Charakteristisch für den Nachtwächterkäse ist seine schwarze Rinde, ein natürliches Resultat der wöchentlichen Pflege mit Rotwein.

Bei Agroscope im Liebefeld haben wir den milden (4 Monate gereift), den reifen (8 Monate) und den extra-reifen (12 Monate) Nachtwächter-Käse sensorisch beschrieben. Jeder der drei Käse hat seinen eigenen, unverkennbaren Charakter:

  • Der «Milde» hat bereits eine schöne Reife erreicht. Samtig, erfrischend und sogar etwas prickelnd im Gaumen. Aromen nach Zwiebeln, Caramel, Butter und einem Hauch von Pfeffer. Von diesem Käse werden wohl die meisten Leute gerne ein zweites Stück abschneiden.
  • Der «Reife» weckt mit seinen erdigen, holzigen, rauchigen und pilzigen Facetten schöne Erinnerungen an einen erquickenden Waldspaziergang nach einem Sommerregen. Die ausgeprägten Kristalle machen ihn überraschend «crunchy» und sorgen für viel Spass beim Kauen.
  • Der «Extra-Reife» macht selbst den müdesten Nachtwächter wieder munter. Der Käse ist sehr mürbe und schmilzt wunderbar auf der Zunge. Seine dunkelgelbe Farbe verdankt er wohl dem frischen Gras, welches die Kühe auf der Weide gefressen haben. Interessanterweise sind die Kristalle weitgehend verschwunden. Es dominieren unterschiedliche, zum Teil leicht herbe, Röstaromen. Dieser Käse kann locker mit jedem schweren Rotwein mithalten.

Alle drei Käse haben einen lang-anhaltenden, facettenreichen und harmonischen Nachklang.

Eberles schreiben auf ihrer Homepage, dass der Nachtwächterkäse nicht nur zu Wein passt, sondern auch ausgezeichnet zu Bier und Most. Wir liessen uns inspirieren und wählten für unsere «Mariages» acht verschiedene süsse und saure Moste aus der Region aus:

  • Zum milden Nachtwächter-Käse gefiel uns die Kombination mit der Schorle am besten. Die beiden schliessen rasch Freundschaft und lassen sich gegenseitig viel Raum, damit die eigenen Aromen gut zur Geltung kommen.
  • Apfelsaft vertreibt den reifen Nachtwächter-Käse aus dem Wald. Stattdessen gewinnen Röstaromen wie Caramel und Vanille stark an Bedeutung, auch Ahornsirup und Dörrfrüchte wurden mehrfach vermerkt. Das Käsearoma bleibt auch nach einem weiteren Schluck Apfelsaft schön präsent im Gaumen. Sehr belebend. Für uns klar die schönste «Mariage».
  • Beim extra-reifen Nachtwächter-Käse überzeugte uns die Kombination mit dem Cider. Der Favorit war dabei der «Dry Hopped» mit Hopfenzusatz. Die pikante Note wird schön eingebunden, was den Käse etwas zähmt und milder stimmt. Süsse und Fruchtigkeit werden verstärkt, ein Hauch an Citrus-Früchten wirkt erfrischend. Verschiedene grüne, pflanzliche Facetten bereichern. Der Hopfen ist gut erkennbar, ohne zu dominieren. Die verschiedenen Aromen finden schlussendlich schön zusammen und bilden eine lange nachklingende Harmonie.

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Letzte Änderung 25.08.2023

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