Neuste Zahlen des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW) zeigen, dass der Verkauf von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln und insbesondere von Unkrautvertilgungsmitteln seit 2008 um 29 % zurückgegangen ist. Wie war das möglich?
Ich führe das einerseits auf die alternativen Methoden zurück, welche die Forschung in den letzten Jahren entwickelt hat und welche die landwirtschaftliche Praxis heute anwendet. So bekämpfen die Schweizer Bäuerinnen und Bauern die Unkräuter heute viel häufiger mechanisch. Dies geschieht nicht nur von Hand, sondern auch mit Robotern, die ihnen die Arbeit erleichtern. Zudem hat die Landwirtschaft ihre Produktionsmethoden angepasst, es werden vermehrt Anbausysteme genutzt, die den Unkrautdruck vermindern oder mit den heimischen Unkräutern einen Beitrag zur Biodiversität leisten. Ein Beispiel: Früher gab es in einem Weinberg zwischen den Reben kaum Begrünung. Heute wissen wir, dass gewisse Begleitpflanzen die Biodiversität bereichern und – so lange die Unkräuter nicht zu stark auftreten – mit dem neuen Lebensraum für Nützlinge sogar helfen können, den Schädlingsdruck zu mindern. Andererseits hat wohl auch die öffentliche Diskussion dazu geführt, dass sich ein Landwirt heute zweimal überlegt, ob der Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln wirklich nötig ist oder nicht.
Zurück zur Verkaufsliste der chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel: Auffallend ist, dass bei den Fungiziden, Bakteriziden, Insektiziden und Akariziden kein Rückgang festzustellen ist. Was macht die Forschung in diesen Bereichen?
Im Rahmen der Entwicklung der Integrierten Produktion entwickelte Agroscope in den 70-, 80- und 90iger Jahren effiziente Methoden im biologischen und biotechnischen Pflanzenschutz gegen Milben und Insekten, die noch heute aktuell sind. So sind Raubmilben auch heute noch entscheidend dafür, dass die Obst- und Weinbauern kaum Akarizide einsetzen müssen. Des Weiteren zeigt die Methode der sexuellen Verwirrung ebenfalls im Wein- und Obstbau bis heute eine gute Wirkung gegen bestimmte Schädlinge, so dass es vor allem im Weinbau wenige bis gar keine Insektizide braucht. Bei anderen Schädlingen wie Blattläusen, Blattsaugern und verschiedenen Fliegenarten gibt es noch Forschungsbedarf, um ohne Insektizide den Ertrag und die Qualität zu sichern.
Der vergangene Sommer war heiss und sehr trocken. Weil sich Pilze und Bakterien unter diesen Bedingungen weniger gut vermehren können, kamen weniger Fungizide zum Einsatz. In warmen und feuchten Jahren hingegen vermehren sich Pilze und Bakterien explosionsartig. Die wirksamste Methode gegen Pilz- und Bakterienkrankheiten ist die Züchtung resistenter Arten. Agroscope hat in den letzten Jahren viele erfolgversprechende, pilzresistente Sorten gezüchtet wie die Rebsorten Divico und Divona, die Aprikosensorte Lisa, die Apfelsorten Rustica und Galiwa sowie zahlreiche Weizensorten. Gegen Bakterienkrankheiten sind die Aprikosensorte Mia, die Apfelsorte Ladina und die Birne Fred® tolerant. Auf diesem Forschungsgebiet ist Agroscope sehr effizient, unter anderem aufgrund von zahlreichen Zusammenarbeiten mit Schweizer Hochschulen und ausländischen Instituten wie der INRA in Frankreich
Der Verbrauch des umstrittenen Mittels Glyphosat ist gemäss BLW-Statistik um 45 Prozent zurückgegangen. Sollte dieser Wirkstoff verboten werden?
Ich bin sehr kritisch gegenüber Strategien, die darauf ausgerichtet sind, einen Wirkstoff nach dem anderen verbieten zu wollen, ohne dass wirkungsvolle Alternativen verfügbar sind. Toxikologisch betrachtet, zählt Glyphosat nicht zu den risikoreichen Pflanzenschutzmitteln. Das Problem besteht darin, dass es als Herbizid extrem gut wirkt, so dass die Landwirtschaft es in unglaublich hohen Mengen anwendet. Werden einzelne Wirkstoffe in zu hohen Mengen eingesetzt, entstehen Resistenzen – so auch bei Glyphosat. Chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel sollen erst als letztes Mittel ziel- und standortgerecht angewendet werden.
Gäbe es Pflanzenschutzmittel, die Glyphosat gleichwertig ersetzen könnten?
Heute gibt es kein Mittel, das so breit wirkt wie Glyphosat. Es gäbe Kombinationen von Unkrautvernichtungsmitteln, die der Wirkung von Glyphosat gleichkommen. Ob damit aber die Umweltwirkung positiver wäre bezweifle ich. Dank alternativen Anbaumethoden konnte die Landwirtschaft in den letzten Jahren den Herbizideinsatz senken. Die Forschung auf diesem Gebiet geht aber weiter. Ob wir einst ganz ohne Herbizide auskommen, möchte ich bezweifeln. Mit dem Klimawandel werden wir immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt. Wir müssen uns mit Pflanzen und Tieren beschäftigen, welche neu sind für die Schweiz. Bis wir diese mit angepassten Produktionssystemen in den Griff bekommen, wird immer etwas Zeit vergehen, während dieser wir auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel angewiesen sein dürften.