Weinbau: «Null Behandlungen» sind das Ziel

Agroscope_CaroleParodi_-3014_quadratisch
Austausch zwischen Jean-Laurent Spring und Katia Gindro über die Auswahl neuer Rebsorten. Ziel: vollständig auf Fungizide verzichten.

Seit 50 Jahren steht bei der Züchtung im Weinbau die Entwicklung neuer Rebsorten im Zentrum, die mit Hilfe natürlicher Resistenzen klare Ziele im Hinblick auf den Pflanzenschutz erfüllen. Die Markteinführung der ersten Rebsorten, bei denen vollständig auf den Einsatz von Fungiziden verzichtet werden kann, wird in acht bis zehn Jahren erwartet. 

Heute bestehen noch mehr als 95 % der Schweizer Weinberge aus europäischen Rebsorten (Vitis vinifera), die anfällig gegenüber Echtem und Falschem Mehltau sind. Es sind sowohl im integrierten als auch im biologischen Anbau im Allgemeinen sechs bis zehn Behandlungen mit Pflanzenschutzmitteln erforderlich, um die Qualität der Ernte sicherzustellen. Das grösste Potential auf dem Weg zu einem reduzierten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln birgt die Entwicklung von Sorten, die über natürliche Resistenzen gegenüber den wichtigsten Pilzkrankheiten verfügen. Ziel der Züchtungsprogramme, bei denen neue Technologien zum Einsatz kommen, sind Rebsorten mit hoher Widerstandskraft gegenüber Krankheiten, und letztlich der vollständige Verzicht auf Behandlungen. 

Erste Etappe: gegenüber Graufäule resistente Rebsorten

Seit 1965 arbeitet Agroscope an der Züchtung neuer Rebsorten mit einer hohen Resistenz gegenüber der Graufäule (Botrytis cinerea), einem der hartnäckigsten Krankheitserreger in unseren Rebbergen. Acht neue Rebsorten wurden bereits entwickelt und stehen seit 1990 für den Anbau zur Verfügung. Die bekanntesten Sorten sind Gamaret, Garanoir, Diolinoir, Carminoir oder auch Galotta. Durch die hohe Resistenz dieser Sorten kann auf den Einsatz von spezifischen Mitteln gegen den Graufäule-Erreger verzichtet werden, deren Wirkstoffe besonders hohe Rückstände in den Weinen zur Folge haben. Dank ihres grossen önologischen Potenzials und ihrer Anpassungsfähigkeit konnten sie im Schweizer Weinbau rasch Fuss fassen. 2016 betrug ihr Anteil an den in der Schweiz angebauten roten Rebsorten mit nahezu 900 ha Fläche fast 10 %. Gamaret ist damit zur viertwichtigsten roten Rebsorte avanciert und wurde kürzlich in die französische Sortenliste aufgenommen. 

Resistent gegenüber Echtem und Falschem Mehltau: Divico und Co

Seit 1996 entwickelt Agroscope Rebsorten, die sowohl gegen den Falschen Mehltau (Plasmopara viticola) als auch gegen den Echten Mehltau der Weinrebe (Erysiphe necator) resistent sind. In einem ersten Schritt wurde dazu die europäische Rebsorte Gamaret, die extrem widerstandsfähig gegenüber der Graufäule ist, mit verschiedenen Rebsorten gekreuzt, die Resistenzgene von wilden Rebsorten aus Amerika und Asien tragen. 

Um die Züchtung rascher und zuverlässiger zu gestalten, entwickelte die Forschungsgruppe Mykologie von Agroscope eine wissenschaftliche Methode, welche eine frühe Erkennung von Kandidaten mit hoher Resistenz gegenüber Falschem Mehltau ermöglicht. Die Erkennung beruht auf dem biochemischen Nachweis von Verbindungen (Stilbenphytoalexine), die im Rahmen der natürlichen Abwehrreaktion von den Pflanzen produziert werden. Die Synthese solcher Stilbene – insbesondere Resveratrol und oxidierte Derivate dieser Verbindung wie ε- und δ-Viniferin, sowie Pterostilben (methyliertes Derivat) – gehört zu den wirkungsvollsten Abwehrmechanismen der Weinrebe bei einem Befall mit Pilzerregern. Resistente Rebsorten produzieren als Reaktion auf eine Infektion diese toxischen Verbindungen, die das Wachstum des Erregers hemmen. Mit der neuen Rebsorte Divico konnte 2013 die erste mit Hilfe dieser Methode entwickelte rote Traubensorte mit hoher Resistenz auf den Markt gebracht werden. Sie kann abgestimmt auf den Krankheitsdruck bei höchstens eine bis drei Behandlungen mit Produkten, die für den biologischen Anbau zugelassen sind, erfolgreich angebaut werden. Aufgrund des hohen Qualitätspotenzials stiess die Sorte im Schweizer Weinbau auf reges Interesse und 2016 wurde sie bereits auf 22 ha angebaut. Eine zweite, weisse Traubensorte mit den gleichen Resistenzeigenschaften dürfte ab 2019 zur Verfügung stehen. 

Das Ziel «Null Behandlungen»: ein französisch-schweizerisches Projekt

Seit 2009 wird in Zusammenarbeit mit dem INRA in Colmar an der Züchtung resistenter Sorten durch Pyramidisierung von Resistenzgenen gegen Echten und Falschen Mehltau gearbeitet. Mit Hilfe dieser Methode können durch die Kombination mehrerer Resistenzgene Rebsorten mit stabilen und praktisch vollständigen Resistenzen erreicht werden. In diesem Projekt werden durch Kreuzung Resistenzgene von Agroscope-Linien, die von wilden Rebsorten aus Amerika (Vitis rupestris und aestivalis) und Asien (Vitis amurensis) stammen, mit Resistenzgenen aus französischen Linien kombiniert, die von der nordamerikanischen Art Vitis rotundifolia kommen. Ob die Gene gleichzeitig in den Kreuzungen vorhanden sind, wird durch Genotypisierung geprüft. Drei Populationen mit 400 Kandidaten, die mindestens zwei Resistenzgene gegen Echten bzw. Falschen Mehltau aufweisen, werden gegenwärtig im Forschungszentrum von Agroscope in Pully und vom INRA in Colmar im Hinblick auf ihre agronomischen und önologischen Eigenschaften untersucht. Für eine erste Auswahl von rund 15 besonders vielversprechenden Kandidaten beginnen 2018 die Versuche für die Zulassung in Frankreich und der Schweiz. Die Markteinführung erster Rebsorten, bei denen vollständig auf den Einsatz von Fungiziden verzichtet werden kann, wird in acht bis zehn Jahren erwartet.

HPLC
Die Erkennung von Kandidaten mit hoher Resistenz gegenüber Falschem Mehltau beruht auf einem biochemischen Nachweis.
claire01
Ein krankes und ein gesundes Rebenblatt.
Bild 4_
Bild 3_

Weitere Informationen

Publikationen

Bildergalerie

Traubensortenprüfung in der Deutschschweiz

Rebbau - Viticulture