Zemek O., Neuweiler R., Spiess E., Stüssi M., Richner W.
Nitratauswaschungspotenzial im Freilandgemüsebau – eine Literaturstudie.
Agroscope Science, 95, 2020, 1-117.
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Ausgangslage und Zielsetzung: In der Region Gäu-Olten im Kanton Solothurn wird seit dem Jahr 2003 ein Massnahmenprogramm in der Landwirtschaft nach Art. 62a Gewässerschutzgesetz zur Reduktion der erhöhten Nitratgehalte im Grundwasser umgesetzt. Nach Abschluss von zwei sechsjährigen Projektphasen ohne ausreichende Zielerreichung sollen in einer dritten Projektphase (2015–2020) die Wirksamkeit der Massnahmen, die auf dem sogenannten «Nitratindex» basieren, wissenschaftlich aufgearbeitet, Massnahmen zur Verbesserung der Stickstoffeffizienz und Verringerung der N-Auswaschung geprüft und Vorschläge zur Umsetzung der Ergebnisse gemacht werden. Für die Überprüfung der Massnahmen hat das Solothurner Amt für Umwelt das Projekt «Stickstoffeffizienz im Acker- und Gemüsebau für eine Reduktion des Nitrateintrages ins Grundwasser» unter der Leitung des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in Auftrag gegeben. Als Grundlage für die Weiterentwicklung des «Nitratindex» für die Anwendung im Feldgemüsebau wurde von Agroscope eine Literaturstudie erstellt mit der Zielsetzung, (i) die Gemüsearten nach deren Nitratauswaschungspotenzial zu klassifizieren, (ii) Bewirtschaftungsmassnahmen (primär Düngung, Bewässerung, Bodenbearbeitung und Kultur-/Fruchtfolge) zur Reduktion der N-Auswaschung zu evaluieren und (iii) den Forschungsbedarf in verschiedenen Bereichen aufzuzeigen. Vorgehen und Methodik: In die Literaturstudie einbezogen wurden alle in der Schweiz im Freiland angebauten Gemüsearten, die im Mittel der Jahre 2012–2016 eine Anbaufläche von mindestens 5 ha aufwiesen. Quantitative Daten von rund 3000 Publikationen (i) zu N-Verlusten durch Auswaschung, (ii) zur N-Düngebedarf, (iii) über N-Mengen in Ernterückständen und (iv) zur Wurzeltiefe der Gemüsearten wurden zusammengestellt. Mit Hilfe der drei letzten Parameter wurde anschliessend das Nitratauswaschungspotenzial der Gemüsearten eingeschätzt. Dazu wurden die Gemüsearten für jeden Parameter in eine von vier Klassen eingeteilt, wobei die Zuordnung aufgrund des Mittelwerts (N-Düngebedarf, N-Menge in Ernterückständen) oder des Medians (Wurzeltiefe) der jeweiligen Angaben in der Literatur erfolgte. Jeder Klasse wurde eine Punktzahl von 1 (geringer) bis 4 (sehr hoher Beitrag zum Nitratauswaschungspotenzial) zugeordnet. Aus der Summe der Punkte der drei Parameter, die minimal 3 und maximal 12 beträgt, ergibt sich das Nitratauswaschungspotenzial für eine Gemüseart. Resultate: Nitratauswaschungspotenzial: Die aus der Literaturrecherche gewonnen Angaben zu N-Verlusten durch Auswaschung zeigen ungeachtet der Methodik (Lysimeter, Saugkerzen, Anion Austauschverfahren, Bodenproben, Modellierung) ein erhebliches Nitratauswaschungspotenzial unter bzw. nach Gemüsekulturen im Freiland. Beispielweise wurden mit Hilfe von Lysimetern während des Winterhalbjahrs N-Frachten von bis zu 150 kg N ha-1 gemessen. Ein Vergleich von Bodenproben aus 0–90 cm Tiefe zu Beginn des Winterhalbjahres ergab im Mittel Gehalte an mineralischem Stickstoff (Nmin) von 88 kg ha-1. Die publizierten Ergebnisse zu den Nitratfrachten eignen sich jedoch nicht oder nur bedingt für eine Differenzierung der Nitratausträge nach Gemüsearten. Dies ist begründet in der grossen Heterogenität der Versuchsbedingungen, z. B. bezüglich der gewählten Methodik, den Messparametern, der Fragestellung und der angewandten Kulturmassnahmen. Der N-Düngebedarf ergibt sich aus der Differenz zwischen dem gemüseart-spezifischen Nmin-Sollwert und dem gemessenen Nmin-Gehalt im Boden vor Kulturbeginn. Der Nmin-Sollwert repräsentiert das Nmin-Angebot, mit dem im Mittel vieler Düngungsversuche der Höchstertragsbereich gerade erreicht wird. Um Qualitätseinbussen (z. B. unzureichende Grünfärbung der Blätter) zu vermeiden, muss dabei ein Nmin-Mindestvorrat im durchwurzelten Bodenbereich bis zur Ernte vorhanden sein, denn ein grosser Teil der Feldgemüsearten wird schon zu einem Zeitpunkt geerntet, bei dem der N-Bedarf der Kulturen noch hoch ist. Die Gemüsearten wurden nach dem Nmin-Sollwert in vier Klassen eingeteilt: gering (< 150 kg N ha-1), mässig (150–200 kg N ha-1), hoch (200–250 kg N ha-1) und sehr hoch (> 250 kg N ha-1). Kohlgemüse (z. B. Rosenkohl, Kabis) weisen im Vergleich zu Blattgemüse (z. B. Nüsslisalat und Spinat) einen hohen N-Düngebedarf auf. Im Zuge der Ernte können im Freilandgemüsebau erhebliche Mengen an Ernterückständen mit entsprechend grossen Mengen an N auf dem Feld anfallen. Im Durchschnitt aller Kulturen verbleiben 118 kg N ha-1 mit den Ernterückständen auf dem Feld, wobei die Spanne von 5 bis 550 kg N ha-1 reicht. Die Gemüsearten wurden in folgende vier Klassen eingeteilt: gering (< 50 kg N ha-1), niedrig (50–100 kg N ha-1), hoch (100–200 kg N ha-1) und sehr hoch (> 200 kg N ha-1). Sehr hohe N-Mengen verbleiben im Feld mit den Ernterückständen der Kohlgemüse wie beispielsweise Rosenkohl oder Brokkoli, aber auch Zucchetti, während nach der Ernte von Blattgemüse wie Spinat oder Nüsslisalat relativ geringe N-Mengen in Form von Ernterückständen auf dem Feld zurückbleiben. Die Unterscheidung der Gemüsearten nach ihrer Wurzeltiefe ist wichtig in Bezug auf den Grundwasserschutz, weil Nitrat in tieferen Bodenschichten mehr auswaschungsgefährdet ist. Dabei lassen die wenigen verfügbaren Publikationen auf grosse Unterschiede in der Durchwurzelungstiefe zwischen den Gemüsearten schliessen. Die Gemüsearten wurden in folgende vier Klassen eingeteilt: tief- (>150 cm), mitteltief- bis tief- (100–150 cm), flach- bis mitteltief- (50–100 cm), flachwurzelnd (<50 cm). Zu den flachwurzelnden Arten gehören die Lactuca-Salate und der Nüsslisalat. Gemüsearten wie Karotten, Cichorium-Salate und Kabis wurzeln vorwiegend mitteltief bis tief. Grössere Tiefen erreichen die seltener angebauten Gemüsearten wie Schwarzwurzel und die mehrjährigen Kulturen Spargel und Rhabarber. Ein hohes Nitratauswaschungspotenzial (Punktzahl: 10–12) besteht insbesondere bei den Kohlarten (z. B. Blumenkohl, Brokkoli und Rosenkohl), während Blattgemüsearten (z. B. Salate, Spinat und Rucola) ein geringes (3–5) bis mittleres Potenzial (6–9) aufweisen. Das erhöhte Potenzial der Kohlarten beruht auf der hohen N-Düngung und den hohen N-Mengen der Ernterückstände, wobei bei Kabis die in der Literatur hervorgehobene Wurzeltiefe zur Verringerung des Potenzials beiträgt. Im Gegensatz dazu zeigt sich bei den Blattgemüsen, die zwar meist eine geringe Wurzeltiefe aufweisen, ein geringes bis mittleres Potenzial aufgrund der geringeren N-Düngung und der kleineren N-Menge, die mit den Ernterückständen auf dem Feld verbleibt. Die vorgenommene Einordnung der Gemüsearten kann in Modellen wie «Nitratindex 2.0» und MODIFFUS als Grundlage für eine Differenzierung nach dem Auswaschungspotenzial genutzt werden. Evaluation der Bewirtschaftungsmassnahmen zur Reduktion der Nitratauswaschung In der Literatur finden sich viele mögliche Massnahmen, die angewendet werden können, um die Nitratauswaschungsverluste im Freilandgemüsebau zu reduzieren. Die Fülle an Massnahmen lässt sich neun Bereichen zuordnen: 1. Bewässerung, 2. N-Düngung, 3. Frucht-/Kulturfolge, 4. Ernterückstände, 5. Bodenbearbeitung, 6. Informationsaustausch, 7. Umstellung des Anbausystems, 8. Precision farming und 9. Sonstiges. Die Bewertung der Massnahmen nach ihrem Reduktionspotenzial, dem Wissensstand und ihrer Praxistauglichkeit ergab vier Massnahmen mit einem grossen Reduktionspotenzial, die breit anwendbar und relativ kostengünstig zu implementieren sind: - Steuerung der Bewässerung: Die sachgerechte Bewässerung kann das N-Auswaschungsrisiko reduzieren und gewährleistet ein für die bestmögliche Nährstoffaufnahme der Pflanzen notwendiges Wasserangebot und somit ein optimales Pflanzenwachstum und eine hohe Produktqualität. Um den Bewässerungsbedarf der Gemüsekultur möglichst effizient und mit an das Wachstum angepassten Wassergaben zu decken, empfiehlt sich eine Steuerung der Bewässerung. Hierzu stehen primär vier verschiedene Methoden als Entscheidungshilfe zur Verfügung: (i) die klimatische Wasserbilanz (z. B. Geisenheimer Steuerung), (ii) mehrschichtige Bodenfeuchte- und Evapotranspirationsmodelle, (iii) Bodenfeuchtesensoren und (iv) das kontinuierliche Monitoring des Pflanzenbestandes durch Messungen von Pflanzeneigenschaften (z. B. Bestandestemperatur). - Verbesserte Ermittlung des N-Düngebedarfs: Bei der Düngung spielt neben der Wahl der Düngemittel und deren Ausbringung die Ermittlung des Düngebedarfs eine entscheidende Rolle. Hierzu gibt es unterschiedliche Herangehensweisen für die Bemessung. Die aussichtsreichsten sind die Nmin-Methode, das Kulturbegleitende-Nmin-Sollwert-System (KNS) und das EDV-Programm N-Expert. Beispielsweise um den N-Düngebedarf mit Hilfe der Nmin-Methode abzuschätzen, wird vor Kulturbeginn die Nmin-Menge in der von den Wurzeln nutzbaren Bodenschicht durch die Entnahme von Bodenproben gemessen. - Verbesserte Fruchtfolgen dank Anbau von Zwischenfrüchten: In Bezug auf die Optimierung der Frucht-/Kulturfolge unterscheidet man begrifflich zwischen Mischkultur, Untersaat und Zwischenfrucht. Bei der Mischkultur wird eine Zwischenfrucht als Nebenfrucht gleichzeitig mit der Hauptfrucht, bei der Untersaat einige Wochen nach der Saat und bei der Zwischenfrucht nach der Hauptkultur angesät. Die Auswahl an Kulturen, die im Spätsommer und Herbst als Zwischenfrüchte genutzt werden können, umfasst unter anderem verschiedene Gräser (z. B. Italienisches Raigras), Leguminosen (z. B. Winterwicke), Mischungen aus den letzteren (z. B. das Landsberger Gemenge), aber auch Gemüsearten (z. B. Kohlarten) und der erneute Aufwuchs bei einigen Herbstkulturen (z. B. Spinat), deren Wurzelwerk durch die Ernte nicht beschädigt wurde. Allen Zwischenfrüchten ist gemein, dass sie N aus dem Boden aufnehmen und in ihrer Biomasse speichern sowie die Sickerwassermenge durch die Wasseraufnahme reduzieren. - Optimierung des Ernterückstandmanagements: Während die Ernterückstände bis anhin vorwiegend auf den Feldern zurückbleiben, sollte in Zukunft bei Gemüsearten mit hohen N-Mengen im zurückbleibenden Pflanzenmaterial in der zweiten Jahreshälfte die Abfuhr der Ernterückstände mit nachfolgender Weiterverwertung in Vergärungs- und Kompostieranlagen in Erwägung gezogen werden. Forschungsbedarf in verschiedenen Bereichen: - Für eine Differenzierung einzelner Gemüsearten anhand von Messdaten sollten neue Studien in Auftrag gegeben werden. Aus praxisrelevanten Gesichtspunkten sollten hierbei jedoch anstatt einzelner Gemüsearten vielmehr gemüsebauliche Kultur- oder Fruchtfolgen, die typisch für die Schweiz sind, untersucht werden. - Überprüfung der aktuellen Düngungsnormen und der Verwendung von Sicherheitsmargen insbesondere im bewässerten Anbau. Angepasste Düngung in Bezug auf aktuelle Ertrags- und Qualitätserwartungen und Sortenunterschiede. Insbesondere im Serienanbau sind Jahreszeitenunterschiede im Düngebedarf zu berücksichtigen. Existierende Expertensysteme wie z. B. N-Expert sollten unter Schweizer Bedingungen getestet werden. - Für die Bodenbearbeitung im Freilandgemüsebau stehen neben dem intensiven Pflugverfahren, verschiedene Techniken für eine konservierende Bodenbearbeitung zur Verfügung. Diese Verfahren gelten als effektive Praktiken für nachhaltige Produktionssysteme, insbesondere durch ihren nachgewiesenen Beitrag zum Erosionsschutz. Jedoch bleibt die Frage, in welchem Ausmass diese Verfahren die N-Dynamik im Boden und somit die N-Auswaschung im Gemüsebau beeinflussen, derzeit unbeantwortet. Wie unsere Literaturrecherche zeigt, existieren im Gemüsebau bisher fast keine Versuche, die diese Fragestellung untersuchen. - Zur Verbesserung des Umgangs mit den Ernterückständen sollte untersucht werden, wie der auswaschungsgefährdete N im zurückbleibenden Pflanzenmaterial besser konserviert werden kann.
ISSN Online: 2296-729X
Digital Object Identifier (DOI): https://doi.org/10.34776/as95g
ID pubblicazione (Codice web): 43974 Inviare via e-mail