Mycoscope

Kontext

Pilze werden seit Langem für Nahrungs-, Heil- und Wahrsagezwecke verwendet. Die Ägypter verwendeten sie, um Sauerteig herzustellen, die Römer als Gift, um ihre Feinde auszuschalten, die Azteken wegen ihrer halluzinogenen und wahrsagerischen Wirkungen. Bereits im fünften Jahrhundert v. Chr. erkannte man in China das Potenzial von Pilzen als Heilmittel in Form von Abkochungen, Alicaments (therapeutische Nahrungsmittel) oder anderen Zubereitungen. Ihre Verwendung wurde in einem jahrhundertealten Werk festgehalten, das von einem Kaiser zum anderen weitergegeben wurde. Seit Jahrhunderten wecken Pilze die Neugierde. Sie wurden jedoch als niedere Pflanzen ohne Blüten und Blätter untersucht und betrachtet, die bei Regenwetter auf magische Weise auftauchten. Tatsächlich ging man bis ins 16. Jahrhundert davon aus, dass Pilze spontan aus gelatinösem Material zersetzter Baumblätter entstehen. Auch nach der Erfindung des Mikroskops, ab dem frühen 18. Jahrhundert, beobachteten berühmte Mykologen und Wissenschaftler wie Pier Antonio Micheli und Robert Hooke Pilze und beschrieben sie mit grosser Genauigkeit. Sie vertraten aber die Ansicht, dass sie zu den niederen Pflanzen gehörten, einem sehr kleinen Teil der Botanik. Erst im 19. Jahrhundert erlebte die Wissenschaft der Pilze einen entscheidenden Aufschwung und erhielt den Namen Mykologie. Zu dieser Zeit hörte man auf, an die spontane Entstehung von Pilzen zu glauben, und begann, sie von Pflanzen zu unterscheiden. Es wurden umfassende und detaillierte Monographien veröffentlicht, an denen die grossen Namen der mykologischen Forschung wie Fries, Persoon, De Bary, Saccardo und viele andere beteiligt waren, bis hin zu Professor Heinz Clémençon, der sich viele Jahre dem Studium der Pilze gewidmet und ihre Einzigartigkeit hervorgehoben hatte. Erst 1969 machte Whittaker die Pilze zu einer eigenständigen Gruppe und die Pilze erreichten den Rang eines Reiches. Technologische Entwicklungen, insbesondere die DNA- und Genomsequenzierung, eröffneten neue Untersuchungsfelder und ermöglichten die Rekonstruktion der Evolutionsgeschichte der Lebewesen und natürlich auch der Pilze, deren Klassifikation bis heute immer wieder überarbeitet wird. Wie so oft in der Wissenschaft kann Wissen eines Tages durch die Erkenntnisse, die neue Technologien ermöglichen, auf den Kopf gestellt werden. Die Klassifikation der Pilze, die aufgrund ihrer genetischen Veränderung und ständigen Mutation bereits sehr komplex ist, wird heute durch Klassifizierungen auf der Grundlage ganzer Genome in Frage gestellt. Die unglaubliche Vielfalt des Reichs der Pilze birgt ein unerwartetes Potential für die aktuelle Forschung. Die immer ausgefeilteren Werkzeugen und interdisziplinären Zusammenarbeiten in Expertennetzwerken ermöglicht es, Pilze in den verschiedensten Disziplinen, von der Medizin bis zum Pflanzenschutz und der Biotechnologie oder Baubranche zu nutzen

Mycoscope: Die Sammlung und die Projekte

Seit über fünfzig Jahren hat die Mykologiegruppe von Agroscope eine umfangreiche und dynamische Pilzsammlung aufgebaut und gepflegt, bislang etwa 3.700 Stämme. Die Gruppe verfügt über umfassende Expertise in der Isolierung und Reinigung von Pilzstämmen aus einer Vielzahl von Substraten, darunter pflanzenpathogene Pilze, Umweltarten (Luft, Regenwasser, Alltagsmaterialien, Schluff, extreme Umgebungen, Wälder, Komposte, Lebensmittel), medizinische Arten (Dermatopathogene, Endopathogene) und solche aus exotischen Pilzgemeinschaften. Historisch war die Sammlung auf das epidemiologische Verständnis von Wirt-Pathogen-Interaktionen ausgerichtet. Heutzutage wird sie weitgehend für die Entdeckung neuer Chemikalien genutzt, wie z. B. bioaktiver Verbindungen von agronomischem und medizinischem Interesse, von Aromen oder auch von Farbstoffen. Die Identifizierung aller Stämme wird durch DNA-Sequenzierung validiert. Neue Stämme werden regelmässig in die Mykothek aufgenommen. Die dynamische Pilzbibliothek der Forschungsgruppe hat sich zu einem Flaggschiff für komplexe Pilzgemeinschaften und ihre zeitliche Entwicklung durch molekulare Phylogenie, die Isolierung spezifischer Pilzenzyme und/oder Enzymfamilien zur Erzeugung chemischer Vielfalt und das Screening bioaktiver Verbindungen entwickelt.

Die Pilzbibliothek ist ein wichtiger Indikator für die Biodiversität der Pilze in der Schweiz. Sie stellt auch ein grundlegendes Werkzeug für die Forschung dar. Angesichts der Bedeutung dieser Sammlung lebender Stämme hat die Mykologiegruppe von Agroscope eine interaktive, webbasierte Datenbank (www.mycoscope.ch) entwickelt, um die Stämme der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen und den wissenschaftlichen Austausch und kollaborative Synergien auf nationaler und internationaler Ebene zu ermöglichen. Mithilfe dieses Werkzeugs können die Nutzenden nach den benötigten Arten und den dazugehörigen ITS-Sequenzen und Kulturbildern suchen.

Derzeitige Nutzung mikrobieller Ressourcen

Historisch gesehen werden die Isolate der Mycoscope-Sammlung hauptsächlich für die Erforschung von Pflanzenpathogenen verwendet. Heute werden Isolate aus der Luft und anderen Umgebungen im Rahmen von Projekten zu Allergien und anderen Gesundheitsproblemen (Dermatopathogene, Endopathogene) sowie zur Biokontrolle untersucht und auf bioaktive Verbindungen von agronomischem und medizinischem Interesse, Aromen, Biokontrollarten oder sogar Farbstoffe gescreent. Im Laufe der Jahre ist Mycoscope dadurch zu einer wichtigen Referenz für die Schweizer Pilzvielfalt und zu einem grundlegenden Werkzeug für die Forschung geworden.

Dank der Vielzahl verfügbarer Stämme pro Art können mit Hilfe der Mykothek beispielsweise phylogenetische und evolutionsbiologische Studien durchgeführt werden. Es ist nicht ungewöhnlich, dass mehr als 50 verschiedene Isolate einer Art existieren, die aus unterschiedlichen Substraten stammen und unterschiedliche enzymatische Fähigkeiten, Resistenzen oder morphologische Merkmale aufweisen. Dies ermöglicht korrelierte Studien, die Metabolomik, Genomik und Transkriptomik miteinander verbinden.
 

Verwaltung

Die meisten Isolate werden in einem Mindestwachstumsmedium bei 4 °C am Leben erhalten. Sie sollten alle drei Jahre in frisches Medium überführt werden. Die Identifizierung der Isolate erfolgt durch Molekularsequenzierung. Ein Teil der Sammlung, insbesondere die Hefen, werden in Glycerin bei -80 °C aufbewahrt.

Die in Mycoscope verfügbaren Isolate werden zusammen mit ihren Merkmalen in einer öffentlichen Datenbank referenziert (verfügbar unter: www.mycoscope.ch). Viele Stämme sind nicht öffentlich zugänglich, da sie an spezielle Projekte gebunden sind, die mit verschiedenen Universitäten und privaten Partnern abgeschlossen wurden, mit denen die Forschungsgruppe Geheimhaltungsvereinbarungen getroffen hat und verschiedene Patente hält.
 

Letzte Änderung 19.11.2024

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