In der Halle für verderbliche Güter eines Flughafens muss die Wartezeit kurz sein. Wenn aber verdächtige Lebewesen in der Fracht gefunden werden, muss man sie identifizieren, um Quarantäneorganismen von der Schweiz fernzuhalten. Dank einer für die Praxis optimierten Methode dauert dies statt zwei Tage heute nur noch zwei Stunden.
«Zeit ist Geld» – dieses Zitat von Benjamin Franklin, amerikanischer Erfinder und Staatsmann, gilt ganz besonders in der Halle für verderbliche Güter eines Flughafens. Dort stapelt sich frisch eingetroffene Ware aus aller Welt – Früchte, Gemüse, Schnittblumen und vieles mehr.
Einer, der am Flughafen Zürich diese Güter auf Schaderreger prüft, ist Hanspeter Diem, Pflanzenschutzinspektor des Eidgenössischen Pflanzenschutzdienstes EPSD. Im Verdachtsfall muss er herausfinden, ob Quarantäneorganismen vorliegen. Letztere müssen am Zoll aufgehalten werden, da sie in der Schweiz zumeist noch nicht vorkommen und grosse Schäden in Landwirtschaft, Gartenbau oder Wald verursachen könnten.
Oft jedoch findet Diem nur Insekteneier oder Larvenstadien, die mit dem Auge nicht eindeutig identifiziert werden können. Solche Proben müssen genetisch analysiert werden und gelangen ins Zentrallabor von Agroscope. «Bisher warteten wir zwei Tage auf eine Antwort», erklärt Diem. Zwei Tage sind zwar aus Labor-Sicht ein guter Wert, aber der Platz in der Flughafen-Halle ist beschränkt; zudem hat verderbliche Ware keine Zeit zum Warten. Deshalb musste eine schnellere Methode her.
2011 – als erste Flugversuche stattfanden
Und mit genau einer solchen Methode reiste Andreas Bühlmann 2011 an den Flughafen. Der Doktorand forschte damals an einer schnellen Methode, um Schaderreger mittels genetischem Fingerabdruck zu bestimmen – ähnlich wie bei einem Vaterschaftstest. Bei Aufnahmen für die Sendung Einstein des Schweizer Fernsehens demonstrierte er vor Ort die LAMP-Methode – ein Verfahren zur chemischen Erbgut-Vervielfältigung unter gleichbleibender Temperatur.
Entdeckt der Pflanzenschutzinspektor ein verdächtiges Insekt, steckt er zwei Tiere in je ein Röhrchen mit einer Extraktionslösung. Diese wird erhitzt und setzt dadurch das Erbgut frei. Zwei Kontroll-Röhrchen gehören ebenfalls zum Kit. Die vier Röhrchen werden in ein Nachweis-Gerät gesteckt, das kleiner als eine Schuhschachtel ist. Dort wird die Probe auf 65 Grad Celsius aufgewärmt. Bei dieser Temperatur macht eine DNA-Polymerase Kopien von bestimmten Abschnitten des Erbguts.
Nach spätestens zwei Stunden ist das Ergebnis sichtbar: Falls Erbgut-Teile vervielfältigt wurden, die nur zum getesteten Quarantäneorganismus passen, so ist das Ergebnis positiv und das Insekt ein Quarantäneorganismus.
2015 – als die Startfreigabe erfolgte
2011, noch im selben Jahr also, wurde die Methode an einem Inspektoren-Workshop der Europäischen Pflanzenschutzorganisation EPPO in Padua vorgeführt. Einer der Teilnehmer war Andreas von Felten, Diems Vorgesetzter und Verantwortlicher der Pflanzenschutzkontrollen in der Schweiz. Dort wurde ihm sofort klar, dass Bühlmanns Methode Zukunft hat. Denn auch der Londoner Flughafen Heathrow stand mit einem solchen System auf der Startrampe.
Andreas von Felten setzte sich mit Jürg Frey in Verbindung, Bühlmanns Supervisor bei Agroscope. Von Felten und Frey waren sich einig: Das Innovationspotential war da, aber die Umsetzung in die Praxis steht oder fällt mit der Schulung der Personen, die damit arbeiten sollen. Diese Aufgabe übernahm nun Simon Blaser, nachdem Andreas Bühlmann seine Doktorarbeit beendet hatte.
Die LAMP-Methode am Flughafen einzuführen hiess für Blaser: die Fachkräfte vor Ort schulen und Probleme überwinden. Beispielsweise hat er eine Extraktionsmethode eingeführt, die noch einfacher ist als die ursprüngliche. Zudem hat er sämtliche Reagenzien mit Farbstoffen versetzt, damit sie gut sichtbar sind und das Risiko für Flüchtigkeitsfehler vermindern. Blasers Aufgabe glückte.
2016 – als eine optimale Flughöhe erreicht war
Von 2015 bis 2016 wurden 59 Proben sowohl am Flughafen wie auch im Labor von Agroscope bestimmt. Sämtliche Resultate, die einen Quarantäneschädling detektierten, waren sowohl vor Ort wie auch im Labor positiv. Durch den schnellen Entscheid hat der Importeur nun Zeit, eine Ersatzlieferung zu organisieren.
Von den negativen Testergebnissen waren aber rund zwei Prozent falsch-negativ. Das würde bedeuten: bei zwei von hundert Importen wäre ein nicht entdeckter Quarantäneschädling eingereist. Deshalb werden bis heute negative Resultate immer noch im Labor von Agroscope untersucht und die entsprechenden Kits weiterentwickelt. Agroscope liefert mittlerweile Kits für einige Fruchtfliegen der Gattung Bactrocera sowie für Thrips palmi, Bemisia tabaci und drei Liriomyza-Arten (L. sativae, L. trifolii und L. huidobrensis). Hanspeter Diem würde sich Kits für weitere Insekten und solche für Pilzkrankheiten auf Zitrusfrüchten wünschen.
Ohne Turbulenzen, aber mit nächstem Ziel
Jürg Frey, der eigentliche Vater des Einsatzes dieser Methode, identifiziert schon seit 1995 landwirtschaftlich wichtige Organismen mittels genetischer Barcodes. Denn die genetische Identifizierung ist, sofern sie solide validiert ist, sicherer und schneller als die klassische morphologische Bestimmung.
Frey arbeitete unter anderem im Rahmen der EU-Projekte QBOL und Q-Detect an LAMP-Methoden und entwickelte danach das beschriebene LAMP-System weiter. Mittlerweile ist es am Flughafen Zürich das modernste weltweit.
Doch Frey arbeitet bereits am nächsten Schritt: «Die Zukunft gehört der Sequenz-basierten Diagnostik. Mit LAMP kann man nämlich nur sagen, ob die Probe Art A ist oder nicht.» Das heisst: Für jeden Quarantäneorganismus braucht es einen eigenen, validierten Test. «Das Ziel ist jedoch ein System, das einem sagt, welcher Art die Probe angehört», sagt Frey und stellt ein kleines Kästchen auf den Tisch – ein Nanoporen-Sequenziergerät mit dem Umfang eines grossen Taschenmessers. «Das Problem ist noch die Proben-Vorbereitung, die ist zu aufwändig, aber auch das lösen wir…»