„Flexibel und gerüstet für die Zukunft“

Der Chef Agroscope, Michael Gysi, nimmt im Interview Stellung zum neuen Arbeitsprogramm (AP) 2018–21 und wie darin die grossen Herausforderungen der Zukunft sowie die Bedürfnisse von land- und ernährungswirtschaftlicher Praxis eingebunden sind. 

Agroscope startet dieses Jahr mit einem neuen Arbeitsprogramm, dem AP 2018–21. Was zeichnet dieses Programm aus Ihrer persönlichen Sicht aus? 
Michael Gysi:
Die heutige Land- und Ernährungswirtschaft arbeitet in einem enormen Spannungsfeld: Einerseits verlangen die Konsumentinnen und Konsumenten beste Qualität bei unserem Gemüse, den Früchten und dem Fleisch. Dabei soll der Preis auch stimmen. Zudem muss die Landwirtschaft vielfältige Auflagen bezüglich Umwelt, Natur- und Tierschutz erfüllen. In unserem neuen Arbeitsprogramm stellen wir genau dieses Spannungsfeld in den Mittelpunkt. Mit unserer Forschung wollen wir die Landwirtinnen und Landwirte aber auch die gesamte Branche darin unterstützen, dass sie ressourceneffizient und somit nachhaltig produzieren können und dabei wettbewerbsfähig sind. 

Welche Herausforderungen stehen für Sie im Vordergrund? 
Michael Gysi:  
Eine erste grosse Herausforderung für die Land- und Ernährungswirtschaft besteht bei der Frage der Wettbewerbsfähigkeit. Hier geht es darum aufzuzeigen, wie der Landwirtschaftssektor und die einzelnen Betriebe ihre Wettbewerbsfähigkeit zum Beispiel durch Kostensenkungen oder durch die Inwertsetzung der Produktqualität noch verbessern können. Wir liefern den Landwirtinnen und Landwirten mit unserer Forschung die Grundlagen, wie sie ihre Produktionssysteme so weiter entwickeln können, dass sie in diesem Markt bestehen. Das ist ein dynamischer Prozess, denn die Bedürfnisse der Konsumentinnen und Konsumenten verändern sich laufend, und damit verändert sich auch der Markt. Dies notabene unabhängig von der Frage einer allfälligen Marktliberalisierung. 

Der Markt ist das eine, das andere sind aber die Bedürfnisse von Natur und Umwelt. Von dieser Seite hat der Druck in der letzten Zeit spürbar zugenommen. 
Michael Gysi:
Ja, der Druck hat tatsächlich weiter zugenommen und die Anforderungen für die produzierende Landwirtschaft sind hoch. Dabei geht es um die Frage, wie der Umgang mit den Ressourcen noch nachhaltiger und effizienter werden kann. Diesbezüglich haben wir eine grosse Verantwortung, denn der Schutz des Bodens, der Artenvielfalt, des Wasser und der Luft sind für die Ernährung künftiger Generationen zentral. Deshalb befassen wir uns ja auch nicht nur mit effizienteren Produktionssystemen, sondern erforschen gleichzeitig, wie wir umwelt- und tierfreundlich und dennoch wirtschaftlich produzieren können. Stichworte sind etwa Pflanzenschutz und Pflanzenzüchtung. 

Und der dritte Bereich?
Michael Gysi:
Da geht es darum, Chancen auszubauen und Risiken zu vermindern. Wir wissen, dass Fortschritte in der Technologie und Züchtung starke Hebel für eine nachhaltige Entwicklung des Ernährungssystems sind. Wir wissen aber auch, dass als Folge des Klimawandels und einer vermehrten Reisetätigkeit neue Pflanzen und Tiere eingeführt werden und sich hierzulande ansiedeln. Das Risiko, dass neue Krankheiten eingeschleppt werden, ist ebenfalls real und nicht zu unterschätzen. Damit muss es unser Ziel sein, Produktionssysteme zu haben, die resilient und wenig anfällig sind. Gleiches gilt für die Ernährung, wo wir uns für sichere und gesunde Lebensmittel einsetzen. Mehr Sicherheit und geringere Risiken entstehen aber auch dadurch, dass insgesamt weniger Emissionen entstehen und die Immissionen gesenkt werden. Mit diesem Fokus betreiben wir die Forschung in diesem Bereich. 

Und was ist daran nun neu? 
Michael Gysi:
Neu ist, dass wir uns direkt auf diese Herausforderungen ausrichten. Deshalb haben wir als Grundlage für das neue Arbeitsprogramm 17 sogenannte strategische Forschungsfelder formuliert, die sich an diesen Herausforderungen orientieren. Alle 117 Projekte des neuen Arbeitsprogramms sind klar auf die Ziele und Forschungsfragen der Forschungsfelder ausgerichtet und liefern dazu einen Beitrag. Agroscope hat damit eine neue thematische Führung der Forschung, die eine verstärkte Zusammenarbeit erfordert. Noch nie haben wir so integral gearbeitet wie wir dies im neuen Arbeitsprogramm tun werden. Das ist ein grosser Fortschritt gegenüber der früheren Organisation. 

Was aber einen erhöhten Koordinationsbedarf bedingt? 
Michael Gysi:
Das ist zwar richtig, aber wir können gleichzeitig vertiefter und vernetzter forschen. Das erhöht nicht nur die Qualität und Breite der Forschungsresultate, auch die Tätigkeiten bei Agroscope werden vielfältiger. Diese schlägt sich auch im Alltag unserer Leute nieder, die künftig gefordert sind, viel mehr interdisziplinär zusammen zu arbeiten. 

Haben Sie dafür ein Beispiel? 
Michael Gysi:
Nehmen Sie die Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion. Weil die ganze landwirtschaftliche Produktionskette vom Feld bis auf den Tisch betroffen ist, bringen Spezialistinnen und Spezialisten der Pflanzenzucht ihre Forschungsergebnisse mit jenen des Pflanzenschutzes oder der Lagerung und der Agrarökonomie zusammen. 

Sie sagen, mit dem neuen Arbeitsprogramm leistet Agroscope Beiträge an die grossen Herausforderungen der Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft. Nehmen wir als konkretes Beispiel den Pflanzenschutz. Welche Leistungen erbringt Agroscope in diesem Forschungsfeld?
Michael Gysi:
Hier haben wir die Vision, dass unsere Landwirtschaft dereinst ohne synthetische Pflanzenschutzmittel auskommen könnte, also ohne Chemie. Das geschieht nicht von heute auf morgen. Aber wir wollen gezielt in diese Richtung gehen und haben deshalb die Forschung darauf ausgerichtet. Konkret forschen wir nach Antworten auf die Frage, mit welchen Massnahmen die Landwirtinnen und Landwirte Krankheiten und Schädlingen vorbeugen können, die zu grossen Ertrags- und Qualitätsverlusten im Pflanzenbau führen. Voraussetzung dafür ist, dass wir die Krankheiten und Schädlinge genau kennen und daraus neue Strategien entwickeln können, um die von der Gesellschaft zunehmend wahrgenommenen und kritisierten Risiken von chemischen Pflanzenschutzmitteln zu senken. 

Und welche Rolle spielt Agroscope in der Digitalisierung der Land- und Ernährungswirtschaft? 
Michael Gysi:
Es ist klar, dass sich die Land- und Ernährungswirtschaft wie alle anderen Branchen der Wirtschaft mit der Digitalisierung befassen muss. Die Daten- und Internettechnologie erlaubt es der Landwirtschaft, ihre Daten besser miteinander zu verknüpfen und so ressourcensparende Massnahmen zu entwickeln. Bereits heute gibt es beispielsweise Traktoren, die mit einem ausgeklügelten Sensorsystem ausgerüstet sind, welche die Bodenbeschaffenheit genauestens analysieren. Dadurch können das Saatgut und die Dünger gezielt ausgebracht und unnötige Verluste vermieden werden. Die Sensortechnologie kann auch bei den Tieren eingesetzt werden, beispielsweise bei den Kühen. So liefert ein Nasenband- und Fusssensor laufend Daten zum Gesundheitszustand der Tiere. 

Big Brother im Kuhstall? 
Michael Gysi:
Ja, zum Vorteil der Landwirtschaft macht die Digitalisierung nicht vor dem Bauernhof halt. Deshalb ist es wichtig, diese Entwicklung wissenschaftlich zu begleiten und zu untersuchen, welche Konsequenzen sie auf die Umwelt, die Arbeitsqualität, die Wirtschaftlichkeit oder auf die Lebensmittelsicherheit hat. 

Wie stark ist das Arbeitsprogramm 2018–21 auf die Anliegen der Praxis ausgerichtet? 
Michael Gysi:
Agroscope hat schon immer sehr nahe an den Bedürfnissen der Praxis gearbeitet. Nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch für die Ernährungswirtschaft, also entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Heu- bis zur Essgabel; die Branchenorganisationen haben das auch immer honoriert. Mit einer gewissen Kritik müssen wir aber leben, denn häufig haben Einzelpersonen oder Organisationen nur ihr eigenes Anliegen im Kopf. Unsere Aufgabe besteht jedoch darin, einen Ausgleich zwischen allen Bedürfnissen zu finden. Und übers Ganze gesehen, gelingt uns das sehr gut. 

Was tun Sie, um diese Praxisnähe zu erhalten? 
Michael Gysi:
Wir haben dafür seit langem ein einzigartiges Instrument, die sogenannten Foren. In über 20 Foren können die verschiedenen Anspruchsgruppen untereinander und mit uns kommunizieren. Auf diese Weise erfahren wir, welcher Art Unterstützung die Praxis von uns erwartet und braucht. Diese Foren werden sehr rege genutzt; und für das neue Arbeitsprogramm haben wir eigens eine Bedürfniserhebung durchgeführt. Viele der gemeldeten Anliegen aus den Foren flossen in unser neues Arbeitsprogramm ein. Einen verstärkten Austausch mit der Praxis soll sich auch durch die neuen Kompetenzbereiche für Forschungstechnologie und Wissensaustausch ergeben. 

Als Kompetenzzentrum des Bundes betreibt Agroscope auch gesetzlichen Vollzug. Wie bedeutend ist diese Arbeit? Und vor allem, was ändert sich da? 
Michael Gysi:
Betrachtet man die Anzahl Stellen, macht der Anteil für den Vollzug knapp einen Fünftel unserer Tätigkeit aus. Die Aufgaben des Vollzuges haben aber inhaltlich eine sehr hohe Bedeutung, ich denke dabei an die amtliche Futtermittelkontrolle, die Beurteilung der Pflanzenschutzmittel im Rahmen der Zulassung, die Aktivitäten im Bereich Sortenprüfung und Zertifizierung oder an die verschiedenen Monitoringprogramme. Deshalb bleibt der Vollzug auch in Zukunft eine wichtige Kernaufgabe unserer Arbeit. 

Und die Politikberatung? 
Michael Gysi:
Auch diese Tätigkeit, wenn mit 15 Prozent auch etwas kleiner, leistet sehr wichtige Beiträge für die Behörden. Die Politikberatung ist dabei sehr eng mit der Forschung verbunden. Das Fachwissen, das wir in Berichten oder Antworten auf parlamentarische Anfragen oder der Verwaltung einbringen, kommt aus dem ganzen Forschungsunternehmen. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für den Wissenstransfer, also für die Vermittlung des Forschungswissens in die bäuerliche Praxis. 

Und welchen Stellenwert hat die Grundlagenforschung? 
Michael Gysi:
Im Gegensatz zu den Universitäten oder zur ETH steht bei Agroscope die anwendungsorientierte Forschung im Vordergrund. Wir müssen aber klar sehen, ohne Grundlagenforschung gibt es keine angewandte Forschung. Das sind die zwei Seiten einer Medaille. Oder anders gesagt: Ohne Grundlagenforschung wären gewisse unserer Tätigkeiten nicht möglich. Daher betreibt Agroscope auch Grundlagenforschung, in vielen Bereichen in enger Zusammenarbeit mit Hochschulen. 

Können Sie ein Beispiel zum Zusammenspiel zwischen Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung nennen? 
Michael Gysi:
Indem wir bei Agroscope die Mikroorganismen des Käse erforschen, erreichen wir zwei Dinge: Erstens können wir die Grundlagen für neue Käsesorten entwickeln. Zweitens ermöglicht uns diese Forschung auch, und das halte ich für ganz wichtig, zum Beispiel die Echtheit der Schweizerkäse nachzuweisen. Mit dem Herkunftsnachweis von Emmentaler AOC oder Tête de Moine AOP ist so möglich Konsumentinnen und Konsumenten vor Täuschungen durch Fälschungen zu schützen. Sie sehen, wenn wir Probleme des realen Alltags der Land- und Ernährungswirtschaft angehen und lösen wollen, brauchen wir zuvor die Erforschung der entsprechenden Grundlagen. 

Aber das könnte die ETH doch genauso gut tun? Wieso braucht es neben der ETH noch Agroscope? 
Michael Gysi:
In gewissen Bereichen hat die ETH umfassendere Möglichkeiten, in andern sind wir besser aufgestellt. Die landwirtschaftliche Forschung der ETH und jene von Agroscope ergänzen sich dabei in gewisser Weise, auch wenn der Auftrag recht unterschiedlich ist. So betreibt die ETH wie schon gesagt meist Grundlagenforschung und richtet sich extrem stark international aus. Agroscope dagegen hat die Aufgabe praxisorientierte Lösungen und Beiträge zu aktuellen Fragen aus der Branche oder des Bundes zu liefern. Aber wir arbeiten bestens zusammen, was sich auch darin zeigt, dass Agroscope seit zwei Jahren eine Professur an der ETH Zürich für Pflanzenzüchtung mitfinanziert. Zudem haben wir langjährige Erfahrung in der gemeinsamen Bearbeitung von Forschungsprojekten. Unser Vorteil ist, dass wir dank eines ordentlichen Budgets und spezieller Infrastrukturen in der Lage sind, auch langfristige Forschungsprojekte zu betreiben. Ich denke da beispielsweise an Langzeitversuche im Bereich Produktionssysteme, die über viele Jahre angelegt ist. 

Ist das Arbeitsprogramm jetzt für die nächsten Jahre fix oder haben Sie noch die Möglichkeit, flexibel zu reagieren?
Michael Gysi:
Nein, das Arbeitsprogramm ist nicht in Stein gemeisselt. Wir haben uns bewusst für einen Weg entschieden, der mehr Flexibilität ermöglicht. So können wir auf Veränderungen der Umwelt rascher reagieren. Ich denke da vor allem an plötzlich auftretende Krankheiten oder Schädlinge. Dass wir dazu in der Lage sind, zeigen unsere Arbeiten im Zusammenhang mit dem Feuerbrand und der Kirschessigfliege. Da waren wir sehr froh, dass weder finanziell noch personell alle Kapazitäten verplant waren.

Wir werden uns zudem kontinuierlich fragen, ob wir auf Kurs sind oder ob wir unsere Arbeit an neue Herausforderungen anpassen müssen. Es wird also auch während der Bearbeitung des Arbeitsprogramms Anpassungen geben. 

Haben Sie dafür auch entsprechende finanzielle Mittel? 
Michael Gysi:
Natürlich sind die finanziellen Mittel für die landwirtschaftliche Forschung begrenzt und von Sparanstrengungen nicht ausgenommen. Mit dem neuen Arbeitsprogramm haben wir aber trotzdem beschlossen, die Reserven für kurzfristige Projekte zu vergrössern.

Letzte Änderung 31.01.2018

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