Schädlingsbekämpfung mit gentechnisch veränderten Insekten – Umweltauswirkungen bewerten

Zürich-Reckenholz, 21.04.2020 - Um Schädlinge ohne Pestizideinsatz zu bekämpfen, könnte man gentechnisch veränderte Artgenossen nutzen. Diese tragen ein Gen, das sich bei der Fortpflanzung überdurchschnittlich häufig vererbt. Es besitzt Eigenschaften, die den Schädling direkt schwächen oder verhindern, dass Krankheitserreger übertragen werden. Doch wie lassen sich die Umweltauswirkungen solcher Gene-Drive-Elemente erfassen und bewerten? Fachleute von Agroscope haben dazu eine Konzeptstudie verfasst.

Der Einsatz von gentechnisch veränderten Insekten mit Gene Drives zur Schädlingsbekämpfung wird international diskutiert (siehe unten). Diese Methode könnte eine attraktive neue Möglichkeit darstellen, Schädlinge auch ohne Pestizide effizient zu bekämpfen. Bevor solche Organismen freigesetzt werden, sind zwingend mögliche Auswirkungen auf die Umwelt abzuklären. Insbesondere ist darauf zu achten, dass die Biodiversität nicht geschädigt wird.

Nur, wie macht man das? Agroscope zeigt nun auf, dass sich dazu Erfahrungen nutzen lassen, die mit etablierten Technologien gemacht wurden, bei denen lebende Organismen freigesetzt werden. Unter diesen Technologien befinden sich auch die Methode der klassischen biologischen Schädlingsbekämpfung.

Schädlingspopulationen mit Gene Drives bekämpfen

Bei der Fortpflanzung wird jeweils die Hälfte des Erbguts von jedem Elternteil weitergegeben. Daher wird jedes Gen im Normalfall an die Hälfte der Nachkommen vererbt. Gene-Drive-Elemente sorgen dafür, dass sie an viel mehr Nachkommen weitervererbt werden als es normalerweise der Fall ist. So können bestimmte Eigenschaften verstärkt in eine Population eingebracht werden. Dies gilt auch für Eigenschaften, die für die Organismen nachteilig sind.

Doch wie geht das und was bewirken Gene Drives? Mit molekularbiologischen Methoden lassen sich Insekten im Labor gentechnisch so verändern, dass sie ein Gene-Drive-Element tragen. Richtig eingesetzt, kann die Technologie eine Insektenpopulation nachhaltig verändern. Dies kann heissen, dass ein Insekt damit einen Krankheitserreger nicht mehr übertragen kann. Oder eine Schädlingspopulation lässt sich verkleinern oder gar lokal auslöschen.

Umweltauswirkungen prüfen

Grosse Bedenken wurden hinsichtlich möglicher Umweltauswirkungen dieser Technologie geäussert. Einerseits, weil solche Insekten mit Hilfe der Gentechnologie erzeugt und anschliessend freigesetzt werden sollen. Andererseits könnten Gene Drives global zur Ausrottung einer Art führen. Ausserdem wird befürchtet, dass die Gene-Drive-Elemente auch auf andere Insektenarten übertragen werden und dort Schaden anrichten könnten.

Die Frage ist also, wie sich die Umweltauswirkungen im Rahmen einer Risikoabschätzung prüfen lassen, bevor solche Organismen freigelassen werden.

Jörg Romeis und Jana Collatz von der Forschungsgruppe Biosicherheit bei Agroscope sind dieser Frage zusammen mit Experten vom National Institute of Public Health and the Environment in den Niederlanden und der Oxford University in England nachgegangen. In einem gerade in der Zeitschrift Environmental Science & Policy erschienenen Artikel legen sie dar, dass die Gene-Drives-Technologie keine grundsätzlich neuartigen Umweltrisiken mit sich bringt im Vergleich zu etablierten Schädlingsbekämpfungsmethoden (siehe unten), die ebenfalls auf der Freisetzung von lebenden Organismen beruhen. Auch bei diesen Methoden können sich die freigesetzten Organismen etablieren und verbreiten. Die Umweltbeurteilung von Insekten mit Gene Drives kann daher auf die Erfahrung im Umgang mit den etablierten Methoden aufbauen.

Was sind Gene Drives?

Gene Drives sind "selbstsüchtige" genetische Elemente, welche bei der sexuellen Vermehrung dazu führen, dass bestimmte Gene viel häufiger als üblich an die Nachkommen weitervererbt werden. Solche Gene-Drive-Elemente kommen natürlicherweise vor. Neue molekulare Verfahren ermöglichen es, Gene Drives künstlich in einen Organismus einzufügen. Werden sie an ein Gen geknüpft, welches für eine bestimmte Eigenschaft verantwortlich ist, so kann diese Eigenschaft innerhalb weniger Generationen in eine Population "eingetrieben" werden. Dies gelingt auch, wenn die Eigenschaft einen Nachteil für die Organismen mit sich bringt.

Die Technologie kann verwendet werden, um den Zusammenbruch einer Insektenpopulation herbeizuführen oder um eine Population in eine bestimmte Richtung zu verändern. So können zum Beispiel Stechmücken so verändert werden, dass sie dem Malariaerreger nicht mehr als Wirt dienen können.

Voraussetzung für das Funktionieren von solchen künstlichen Gene Drives sind die sexuelle Vermehrung der Organismen und eine kurze Generationszeit. Beides ist im Falle der meisten Insekten gegeben.

Etablierte Methoden der Schädlingsbekämpfung

Bei der klassischen biologischen Schädlingsbekämpfung werden natürliche Gegenspieler aus dem Ursprungsgebiet exotischer Schädlinge freigesetzt, damit sie heimisch werden.

Bei der sterilen Insektentechnologie wird die Schädlingspopulation überschwemmt mit Massen von unfruchtbaren, im Labor gezüchteten Artgenossen. Dies hat zur Folge, dass aus Paarungen keine lebensfähigen Nachkommen mehr entstehen. Die Sterilisation erfolgt durch Radioaktivität oder mit Hilfe der Gentechnik.

Referenz

Romeis J, Collatz J, Glandorf DCM, Bonsall MB (2020) The value of existing regulatory frameworks for the environmental risk assessment of agricultural pest control using gene drives. Environmental Science & Policy 108, 19-36, https://doi.org/10.1016/j.envsci.2020.02.016

Foto

Die invasive Kirschessigfliege Drosophila suzukii ist ein Schädling, für den eine Bekämpfung mittels Gene Drives in Betracht gezogen wird (Foto: J Collatz, Agroscope & U Wyss, Entofilm).


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