Laut Artikel 104 der Bundesverfassung soll der Bund unter anderem dafür sorgen, dass die Landwirtschaft einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen leistet. Auf der Grundlage des geltenden Rechts haben die Bundesämter für Landwirtschaft und Umwelt zur Operationalisierung des Verfassungsauftrags die Umweltziele Landwirtschaft (UZL) hergeleitet und veröffentlicht. Direktzahlungen stellen eines der Mittel dar, um diese Ziele zu erreichen. Obwohl die Auszahlung von Direktzahlungen an einen ökologischen Leistungsnachweis gekoppelt ist und ein Teil der Direktzahlungsbeiträge bereits einen direkten Umweltbezug hat (z.B. Biodiversitätsbeiträge), sind die agrarpolitischen Umweltziele des Bundes grösstenteils nicht erreicht. Im Auftrag des Bundesamtes für Landwirtschaft haben Agroscope und Flury & Giuliani GmbH in der vorliegenden konzeptionellen Studie geprüft, ob indikatorbasierte Direktzahlungen im Agrarumweltbereich (IDZ) eine Alternative zu den bestehenden umweltbezogenen Direktzahlungen darstellen und ob mit einem solchen System die Ziellücken im Agrarumweltbereich verringert werden können. Dabei ist die Höhe der umweltrelevanten Direktzahlungsbeiträge von Indikatorwerten abhängig, wie wir im Folgenden näher erläutern. Das indikatorbasierte Direktzahlungssystem (IDZ-System) wurde so konzipiert, dass die Indikatoren für einzelne Umweltthemen die Umweltwirkungen eines Betriebs approximieren. Die Zahlungen sind an die Indikatorwerte geknüpft und somit mit der Umweltwirkung gekoppelt. Sie unterscheiden nicht zwischen verschiedenen Betriebs- und Produktionsstrukturen, was ein Paradigmenwechsel zum heutigen Direktzahlungssystem darstellt: Beispielsweise erhält ein Landwirt/eine Landwirtin im IDZ-System Direktzahlungen für den Verzicht auf risikoreiche Pflanzenschutzmittel, unabhängig davon, welche Kulturen er/sie anbaut. Damit werden auch Betriebe belohnt, die pflanzenschutzmittelarme Kulturen bewirtschaften. Die Prüfung verschiedener Indikatorsysteme (aus Monitoring, Forschung, Beratung) hat ergeben, dass die meisten existierenden Indikatoren für die Anwendung in einem Direktzahlungssystem ungeeignet sind. Aus diesem Grund wurden in diesem Forschungsprojekt Prototypen von Agrarumweltindikatoren auf Betriebsebene für die Verwendung in einem Direktzahlungssystem entwickelt. Je nach Umweltthema sind die Indikatoren unterschiedlich gestaltet: Während einzelne Indikatoren resultatbasiert sind oder zumindest resultatbasierte Komponenten beinhalten (z.B. Messung des Humusgehalts), setzt die Mehrheit bei landwirtschaftlichen Strukturen und Massnahmen an (z.B. Grösse des Tierbestands, Verzicht auf risikoreiche Pflanzenschutzmittel). Die indikatorbasierten Zahlungen werden jährlich pro Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche (oder für einen Teil dieser Fläche) ausbezahlt. Dabei sind die Zahlungen umso höher, je besser die Indikatorwerte sind. Die Beitragsansätze basieren vorwiegend auf existierenden Schadenskostenschätzungen und hängen in mehreren Fällen von Schwellenwerten ab. Die Schwellenwerte legen fest, ab welcher Umweltwirkung bzw. ab welchem Indikatorwert ein Betrieb keine Zahlung («Minimalschwelle») respektive die maximale Zahlung («Maximalschwelle») pro Hektar erhält. Durch diese Schwellenwerte ist das System flexibel und justierbar, ohne dass die Indikatoren selbst verändert werden müssen. Eine weitere Möglichkeit, das IDZ-System anzupassen, bietet der Freiwilligkeitsgrad der Beteiligung an den indikatorbasierten Direktzahlungen. Drei Varianten eines indikatorbasierten Direktzahlungssystems wurden ausgearbeitet, die sich in der Anzahl und Komplexität der Indikatoren unterscheiden. In der detaillierten Variante werden die Umweltthemen Biodiversität, Treibhausgasemissionen, Ammoniakemissionen, Nitrat, Phosphor, Pflanzenschutzmittel, Erosion und Humus explizit durch eigene Indikatoren abgebildet. In der einfachen Variante bleiben die Themen Biodiversität und Pflanzenschutzmittel bestehen, wohingegen die Themen Treibhausgasemissionen, Ammoniakemissionen, Nitrat und Phosphor zum Thema «Emissionsschutz» und die Themen Erosion und Humus zum Thema «Bodenschutz» zusammengefasst werden. Während die einfache Variante insbesondere durch ihre Verständlichkeit und den geringen Aufwand bei der Administration und Datenerhebung besticht, ermöglicht die detaillierte Variante den Betriebsleitenden eine höhere Flexibilität bei der Wahl der Massnahmen und beschreibt die Umweltwirkung beziehungsweise die zugrundeliegenden Prozesse genauer. Die mittlere Variante liegt zwischen diesen beiden Extremen. Zur Beurteilung der Wirkung eines IDZ-Systems und zur Abschätzung der damit verbundenen Kosten wurden verschiedene SWISSland-Simulationen durchgeführt, die sich in ihren Annahmen bezüglich Freiwilligkeit, der Möglichkeit zu negativen Direktzahlungen (bei Indikatorwerten unter den Minimalschwellen), den Auszahlungen pro Hektar und den Schwellenwerten unterscheiden. Die Simulationen erfolgten jedoch nur für die einfache IDZ-Variante, weil die anderen IDZ-Varianten für eine Modellierung in SWISSland zu komplex sind. Die Simulationen zeigen, dass mit den IDZ-Zahlungen ein Grossteil der Betriebe auf die risikoreichsten Pflanzenschutzmittel verzichtet. Ausserdem nehmen in allen SWISSland-Simulationen die Biodiversitätsförderflächen auf Ackerland prozentual deutlich zu, deren Gesamtfläche bleibt allerdings weiterhin klein. In den Bereichen Nährstoffüberschüsse, Treibhausgas- und Ammoniakemissionen sind in den meisten Simulationen Reduktionen zu verzeichnen, die allerdings mit Rückgängen von maximal 6.6% (N-Überschüsse) und 8.2% (Tierbestand in GVE) moderat ausfallen. Die erzielten Verbesserungen in den Umweltwirkungen gehen mit einem Rückgang in der landwirtschaftlichen Produktion einher. Die SWISSland-Ergebnisse deuten darauf hin, dass die agrarumweltpolitischen Ziele allein mithilfe eines Direktzahlungssystems, das stärker als heute auf diese Ziele ausgerichtet ist, kaum erreicht werden können. Die Opportunitätskosten für eine Beteiligung (z.B. infolge eines hohen Grenzschutzes) sind bei vielen Betrieben zu hoch, so dass eine Umstellung der Betriebs- und Produktionsstruktur aus ökonomischer Sicht nicht sinnvoll ist. Für sechs ausgewählte Betriebe wurden die Indikatoren und IDZ-Zahlungen der einfachen und der mittleren IDZ-Variante mit Daten des Jahres 2018 berechnet und mit den tatsächlichen Direktzahlungen dieses Jahres verglichen. Insgesamt ergab die Analyse eine hohe Korrelation der Zahlungen der beiden IDZ-Varianten. Der Emissionsschutzbeitrag (Kombination der Treibhausgaszahlungen, Ammoniakzahlungen und Nitrat-/Phosphorzahlungen) ist mit Abstand die dominierende Zahlung, während die Zahlungen für Biodiversität, Pflanzenschutzmittel und Boden (Kombination von Erosionszahlung und Humuszahlung) vergleichsweise klein sind. Es zeigt sich, dass viele der sechs untersuchten Betriebe bereits heute IDZ-Zahlungen in beträchtlicher Höhe erhalten würden, ohne dafür zusätzliche Massnahmen umsetzen zu müssen (Risiko von Mitnahmeeffekten), was auf das Konzept des IDZ-Systems zurückzuführen ist: Dadurch, dass die Umweltwirkungen verschiedener Umweltthemen approximiert werden, erhalten die meisten Betriebe indikatorbasierte Zahlungen, weil sie strukturbedingt in mindestens einem Umweltbereich gut abschneiden. Durch die Einführung des IDZ-Systems würde es zu einer signifikanten Umverteilung der umweltbezogenen Direktzahlungen kommen, weil das IDZ-System die Umweltleistungen der Betriebe anders beurteilt als das heutige Direktzahlungssystem. Die drei konzeptionellen Varianten des IDZ-Systems wurden an einem Workshop mit Vertreterinnen und Vertretern des Bundesamts für Landwirtschaft, kantonaler Landwirtschaftsämter, landwirtschaftlicher Beratungsdienste sowie weiteren Fachpersonen aus dem Agrar-Umweltbereich diskutiert. Die Ergebnisse der SWISSland-Simulationen und die Berechnungen der ausgewählten Betriebe waren nicht Bestandteil des Workshops. Die Idee eines indikatorbasierten Direktzahlungssystems an sich wurde für gut befunden, allerdings wurde das Ausmass der erwarteten Wirkung eines solchen Systems aufgrund weiterer Faktoren relativiert, die die Umweltwirkungen der Landwirtschaft ebenfalls massgebend beeinflussen. Des Weiteren wurden mögliche Anpassungen am System vorgeschlagen, beispielsweise eine Regionalisierung oder eine Kombination der drei IDZ-Varianten; letzteres könnte zum Beispiel in einer obligatorischen Teilnahme an der einfachen Variante und einer (zumindest anfangs) fakultativen Teilnahme an der detaillierten Variante münden. Das IDZ-System bildet die inländischen Umweltwirkungen und die damit zusammenhängenden Schadenskosten von Landwirtschaftsbetrieben realistischer und umfassender ab als das heutige Direktzahlungssystem. Vor einer Verwendung der Indikatoren in einem Direktzahlungssystem wäre allerdings eine Testphase auf Pilotbetrieben sowie der Einbezug verschiedener Stakeholder mit dem Ziel einer Weiterentwicklung der Indikatoren unerlässlich. Hierbei gilt es insbesondere, die Vollzugstauglichkeit der Indikatoren zu prüfen sowie deren Einbettung in die Agrarpolitik zu vorzunehmen. Auch im Hinblick auf den Zielkonflikt mit der rückläufigen Produktion könnte das System weiter verbessert werden, z.B. durch den expliziten Einbezug der produzierten verdaulichen Energie eines Betriebs. Damit das IDZ-System sein Potential zur Reduktion von Umweltwirkungen entfalten kann, sind unterstützende Massnahmen ausserhalb des Direktzahlungssystems erforderlich, die beispielsweise bei anderen agrarpolitischen Massnahmen oder beim Konsum ansetzen
Gilgen A., Drobnik T., Roesch A., Mack G., Ritzel C., Iten L., Flury C., Mann S., Gaillard G.
Indikatorbasierte Direktzahlungen im Agrarumweltbereich: Schlussbericht ans Bundesamt für Landwirtschaft.
Agroscope Science, 136, 2022.
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ISSN Online: 2296-729X
Digital Object Identifier (DOI): https://doi.org/10.34776/as136g
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