Um den Einsatz und die damit verbundenen Risiken von Pflanzenschutzmitteln (PSM) im Gemüsebau zu reduzieren und gleichzeitig Gemüse von hoher Qualität zu produzieren, werden geeignete alternative Pflanzenschutzmassnahmen benötigt. Mit einem Punktesystem, analog zum bereits etablierten Biodiversitäts-Punktesystem von IP-SUISSE, könnten Anreize geschaffen werden, den Einsatz und die Umweltrisiken von PSM zu reduzieren und vermehrt vorbeugende und nicht-chemische Massnahmen umzusetzen. Im Rahmen dieses Forschungsprojekts wurden im Austausch mit IP-SUISSE die wissenschaftlichen Grundlagen für ein solches Punktesystem geschaffen, welches künftig beispielsweise im IP-SUISSE Gemüseanbau angewendet werden könnte. Das Punktesystem berücksichtigt die drei Bereiche i) vorbeugender und nicht-chemischer Pflanzenschutz, ii) Umweltrisiken von PSM und iii) Risikominderungsmassnahmen beim Einsatz von PSM. Gegen wichtige Krankheiten, Schadinsekten und Unkräuter wurden vorbeugende und nicht-chemische Pflanzenschutzmassnahmen zusammengetragen. Dazu gehören zum Beispiel Massnahmen betreffend Fruchtfolge, Anbautechnik, Feldhygiene oder mechanische Unkrautbekämpfung. Diese Massnahmen haben zum Ziel, den Einsatz von PSM zu reduzieren. Einige dieser Massnahmen sind für alle Gemüsekulturen geeignet, andere hingegen nur für einzelne Kulturen. Schliesslich wurden 29 Massnahmen für 13 Gemüsekulturen von Fachpersonen aus Produktion, Beratung und Forschung beurteilt und je nach ihrer Wirksamkeit mit einer Punktzahl von eins bis acht versehen. Dabei gilt, je höher die Punktezahl, desto besser die Wirksamkeit. Zudem wurden für schwierig umsetzbare Massnahmen bis zu zwei Zusatzpunkte vergeben. Um die Umweltrisiken von PSM zu bewerten, wurden basierend auf Risikoscores Negativpunkte für Wirkstoffe berechnet. Berücksichtigt wurden dabei das potenzielle Risiko für Lebewesen in Oberflächengewässern, in naturnahen Lebensräumen und das Belastungspotenzial des Grundwassers. Für jeden dieser drei Bereiche wurde der Wirkstoff mit den höchsten Risiken mit 10 Negativpunkten bewertet, die anderen Wirkstoffe entsprechend mit weniger Punkten. Anschliessend wurden für jeden Wirkstoff die Negativpunkte der drei Bereiche zu einer Punktzahl addiert. Zudem wurde ein minimaler Wert von 0,5 Negativpunkten pro Wirkstoff festgelegt, damit nicht nur der Verzicht auf Wirkstoffe mit höheren Umweltrisiken, sondern auch eine allgemeine Reduktion der PSM-Anwendungen bewertet wird. Ebenfalls wurden mögliche Massnahmen zur Risikominderung bei der Anwendung von PSM im Gemüsebau zusammengestellt, um das Risiko von PSM zu reduzieren, wenn auf eine Anwendung nicht verzichtet werden kann. Dazu gehören zum Beispiel Massnahmen gegen Drift und Run-off. Es wurden allgemeingültige sowie parzellenspezifische Massnahmen definiert. Für die Umsetzung von Massnahmen, die über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehen, wurden 0,5 bis 3 Punkte vergeben. Die Punktevergabe erfolgte analog zu den Punkten, die in den Weisungen des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) für Massnahmen zur Reduktion der Risiken bei der Anwendung von PSM festgelegt wurden. Auch im Bereich der Risikominderung bedeutet eine höhere Punktzahl eine bessere Wirksamkeit. Ebenfalls wurden hier für Massnahmen, die im Gemüsebau besonders schwierig umzusetzen sind, bis zu zwei zusätzliche Punkte vergeben. Mit Hilfe einer Betriebsumfrage wurde ermittelt, wie viele Punkte für vorbeugende und nicht-chemische Massnahmen und wie viele Negativpunkte für PSM die Gemüseproduzenten der IP-SUISSE aktuell erhalten würden. Die Risikominderungsmassnahmen wurden in der Umfrage nicht ermittelt, da sie erst zu einem späteren Zeitpunkt festgelegt wurden. Insgesamt beteiligten sich 22 IP-SUISSE Gemüsebaubetriebe an der Umfrage, welche Ende 2020 bis Mitte 2021 durchgeführt wurde. Hierbei waren grosse Unterschiede zwischen den Betrieben, aber vor allem auch zwischen verschiedenen Gemüsekulturen ersichtlich. Insgesamt zeigte sich, dass die befragten IP-SUISSE Gemüsebetriebe schon verschiedene vorbeugende und nicht-chemische Massnahmen umsetzen, es jedoch noch Potenzial gibt, die Umsetzung solcher Massnahmen mit einem Punktesystem gezielt zu fördern. Die Risiken von PSM waren für Karotten, Zwiebeln, Sellerie und Kohl generell höher als bei den anderen Kulturen. Auf Parzellen, auf denen wiederholt Insektizide der Gruppe der Pyrethroide eingesetzt wurden, waren die Risiken deutlich erhöht. Bei Betrieben, welche bereits viele vorbeugende und nicht-chemische Massnahmen umsetzten, wurde nicht zwingend Punktesystem für den Pflanzenschutz im Gemüsebau ein geringerer Einsatz und ein tieferes Risiko von PSM beobachtet. Auch hier besteht somit Potenzial, um mit einem Punktesystem die Risiken gezielt zu senken. Um in allen drei Massnahmenbereichen Verbesserungen zu erreichen, sollte jeweils eine separate Mindestpunktzahl für vorbeugende/nicht-chemische Pflanzenschutzmassnahmen und für Risikominderung, respektive eine Maximalpunktzahl für Umweltrisiken festgelegt werden, die nicht überschritten werden soll. Für die Umsetzung eines solchen Punktesystems im Rahmen eines Label-Programms wird ein schrittweises Vorgehen empfohlen. Zuerst sollten alle bereits angewandten Massnahmen erfasst werden, um den Status quo des Pflanzenschutzes der Gemüsebaubetriebe festzulegen. Anschliessend können daraus Punktegrenzen festgelegt werden, welche im Laufe der Zeit angepasst werden können. Pflanzenschutz im Gemüsebau ist sehr komplex. Mit dem hier entwickelten Punktesystem haben Betriebe die Möglichkeit, solche Massnahmen umzusetzen, die zu ihrem Betrieb passen. Sowohl die Umsetzung als auch die Aufzeichnung und Kontrolle sämtlicher Massnahmen erfordern aber einen zusätzlichen zeitlichen und administrativen Aufwand. Damit sich dieser Mehraufwand lohnt und sich genügend Betriebe am Punktesystem beteiligen, sollten die Teilnahmebedingungen an einem Label-Programm (z.B. via Marktzugang, Preisprämie) genug attraktiv sein. Vorbeugende und nicht-chemische Massnahmen bieten nicht immer die gleiche Wirksamkeit wie chemische Massnahmen. Damit eine starke Reduzierung des PSM-Einsatzes und den damit verbundenen Risiken erreicht werden kann, wäre auch ein Prozess wünschenswert, bei dem die Qualitätsansprüche des Handels und der Konsumentinnen und Konsumenten überdacht und angepasst werden.